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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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den Seiten. Der Rote legte eine Hand an die Lippen, um mir zu zeigen, dass ich still sein sollte; dazu bestand kaum eine Notwendigkeit. Ben half mir in den Sattel, und wir ritten schweigend davon, über die Wiesen, wo die Pferdehufe weniger Lärm machten. Bevor die Sonne aufging, hatten wir schon das Tal hinter uns gelassen und befanden uns in einem dichten Wald auf Wegen, die nur dem erfahrenen Waldläufer sichtbar waren. Harrowfield lag weit hinter uns, und der Tag begann hell und klar. Ich barst schier vor Fragen, die ich nicht stellen konnte. Bei einer kurzen Rast, um eine Wasserflasche herumzureichen, ergriff ich die Gelegenheit.
    Wohin gehen wir? Was soll das? Heute – du – Hochzeit! Heute – du – zu Hause! Wohin?
    Es lag ein Hauch von Lächeln auf dem Gesicht des Roten, obwohl er aussah, als hätte auch er nicht geschlafen.
    »So viele Fragen! Es ist schon alles in Ordnung, Jenny, wir haben einen langen Ritt vor uns, zumindest noch ein paar Stunden. Ich möchte dir etwas zeigen. Wir werden dafür sorgen, dass du sicher zurückkehrst. Und ich habe dafür gesorgt, dass deine Arbeit gut bewacht ist. Und dieser gefährliche Hund wird zweifellos auch dabei helfen. Kannst du noch weiter reiten? Nicht zu müde?«
    Ich schüttelte den Kopf, aber ich war noch nicht fertig. Er hatte mir noch nicht geantwortet, nicht wirklich.
    Heute – du – Hochzeit? Die Botschaft war doch sicher deutlich in meiner Miene, selbst wenn die Gesten nicht genügten. Wie kannst du das tun? Wie kannst du ihnen das antun?
    Der Rote zuckte die Achseln und wich meinem Blick aus. »Es ist gleich«, sagte er. »Es ist für alles gesorgt.« Das war alles. Wir ritten weiter und ich stellte fest, dass ich trotz meiner Verwirrung und Unruhe, trotz meines Entsetzens darüber, was er tat, die Freiheit dieses Rittes genoss, den süßen Duft des Waldes, das Donnern der Hufe auf dem weichen Teppich aus Farn und Moos, die schweigende Gesellschaft der beiden Männer. Es war beinahe – es war beinahe wie damals, als wir zusammen unterwegs gewesen waren, der Rote und ich, als wir unter einem Apfelbaum rasteten und uns die Früchte teilten. Als wir in einer Höhle Schutz suchten und mehr gesehen hatten, als wir wollten. Trotz der Angst und der Unsicherheit bestand damals eine Verbindung zwischen uns, obwohl ich ihn noch kaum kannte. Der Rote sah mich an und wandte den Blick wieder ab, und ich glaubte, dass er an dasselbe dachte.
    Als ich nach Harrowfield gekommen war, hatte der Ritt vom Meer aus den größten Teil des Tages gedauert. Nun wurde mir klar, dass diese Küstenlinie tief eingekerbt sein musste, denn der Weg, den wir nahmen, war viel kürzer, wenn auch schwieriger. Die Pferde schienen ihn zu kennen. Es dauerte nicht sonderlich lange, bis wir unter den Bäumen hervorkamen, um das weite, schimmernde Meer unter uns zu sehen und die Brecher tosen und die Möwen schreien zu hören. Ein Pfad führte zwischen Felsen zum Wasser hinab. Er war steil, zu steil, um zu reiten. Bewaldete Klippen ragten auf beiden Seiten vor; die Stelle war geschützt, beinahe geheim. Beide Männer stiegen vom Pferd, und einen Augenblick später tat ich dasselbe, ein wenig ungelenk, denn ich war nicht daran gewöhnt, so lange zu reiten. Keiner sagte ein Wort, aber ich sah, wie der Rote Bens Arm fasste, als wolle er ihm danken, und Ben nickte und nahm die Zügel aller drei Pferde und führte sie zurück unter die Bäume.
    »Hier entlang«, sagte der Rote und ging den schmalen, kaum erkennbaren Pfad entlang. Ich hatte keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Mein Fußgelenk tat immer noch ein wenig weh, aber es ging. Es gab Stellen, wo der Weg steil und abschüssig war, und er musste meine Hand nehmen, aber er ließ mich wieder los, sobald er konnte. Ich konzentrierte mich darauf, nicht auszurutschen, und sah mich nicht um. Endlich standen wir auf einem schmalen, flachen Felsen, etwa zwanzig Fuß oberhalb des Strandes.
    »Schau dort hinaus«, sagte der Rote. Die Stelle, an der wir standen, war der Mittelpunkt einer geschützten Bucht, in der es weißen und feinen Sand gab und eine Unzahl von Pflanzen, die sich über die Klippe hinter uns zogen. An beiden Enden hielten die Klippen Wind und Wasser ab und schützten die Bucht vor dem Rest der Welt. Vor uns teilte ein Haufen verwitterter Steine den Strand in zwei Teile. Ich folgte dem Blick des Roten nach links und öffnete in erstauntem Entzücken den Mund.
    Ich hatte von diesen Geschöpfen gehört, aber nur Geschichten. Sie

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