Die Tochter der Wälder
bereits in Johns Tod und in dem langsamen Anwachsen der Angst des Misstrauens in Harrowfield ihre Hand erkannt. Und es schien, dass der Rote zumindest in einer Hinsicht Recht gehabt hatte. Richard hatte sie belogen. Er hatte keine Beweise, dass Simon tot war. Seine Geschichte war erfunden, basierte auf Spekulationen. Er hatte sie erzählt, um dieser Suche ein Ende zu machen. Ich war froh, dass Richard mich nicht genauer angesehen hatte. Er wusste immer noch nicht, wohin der Rote gegangen war und warum. Er durfte es nicht erfahren. Denn tief im Herzen wusste ich, dass Richard vor nichts Halt machen würde, um zu bekommen, was er wollte. Er genoss das Spiel, so lange es dauerte. Aber am Ende war der Sieg alles, was zählte. Alle Spielfiguren waren ersetzbar. Der Verlust einer ganzen Kampftruppe traf ihn hart, aber Richard sah das nur als einen Rückschlag, der mit der Zeit und einem oder zwei Beuteln Silber behoben werden konnte. Man konnte gute Männer kaufen und ausbilden. Ich war eine besonders unangenehme und unerwartete Herausforderung für ihn gewesen. Aber dann hatte ich ihm in die Hände gespielt, und nun war ich hier im Gefängnis. Ich hatte keine Zweifel daran, dass er ohne Bedenken jeden opfern würde, der in seinem Weg stand, jeden. Wenn ein Neffe – wie hatte er es ausgedrückt? – eliminiert werden konnte, warum dann nicht auch der andere, falls er die Wahrheit über seinen Onkel erfuhr?
Es war gut, dass er mir viel zu denken gegeben hatte. Dies in meinem Kopf hin und her zu drehen und zu wenden und zu versuchen, es zu begreifen, half gegen die anderen Gedanken. Bilder brennenden Fleisches, während die Flammen an bloßen Füßen leckten und den bestickten Saum eines Kleides verkohlten. Ich sah, wie das Feuer einen trockenen Weidenkorb ergriff und die fünf Hemden darin verzehrte, und das sechste, das noch nicht vollständig war. Vorder- und Rückseite waren grob zusammengenäht. Es war tatsächlich nachlässige Arbeit, wie Richard festgestellt hatte; mein jüngster Bruder würde nicht gut davonkommen. Aber morgen. Morgen würden sie mich verhören. Heißt das, dass ich morgen sterben würde? Wie konnte man seinem letzten Tag auf der Welt gegenüberstehen und keine Angst haben? Ich dachte an die alten Geschichten, daran, wie der Geist der Helden seine Reise in dieser irdischen Gestalt vollendete und danach zur nächsten weiterzog.
Ein guter Tod. Das Rad dreht sich und dreht sich weiter. Ich dachte an Liams Geschichte von unserer Mutter, die aus der Welt davonglitt und sich ruhig von ihren Söhnen verabschiedete. Ordentlich, ernst, unvermeidlich. So fühlte ich mich überhaupt nicht. Ich war zornig, ich hatte Angst, mein Herz klopfte heftig, und ich konnte kaum atmen. Mein Kopf schmerzte. Ich war nicht bereit zu sterben. Noch nicht, nicht jetzt. Nicht, bevor ich meine Brüder wieder in den Armen gehalten hatte.
In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Es musste einfach Zeit sein, die Hemden zu beenden. Es musste so sein. Gab einem denn das Feenvolk eine Aufgabe und machte es dann unmöglich, sie zu vollenden? Ich konnte nicht glauben, dass man mir das nehmen wollte, so kurz vor dem Schluss. Ich musste fertig werden. Ich würde fertig werden. Ich erzählte mir keine Geschichten mehr, während die Nacht auf die Dämmerung zuraste. Stattdessen arbeitete ich im Dunkeln, füllte den Raum um mich herum mit geistigen Bildern, schimmernden Bildern, um die Schatten fern zu halten, wie Finbar es einmal für mich getan hatte, auf eigene Kosten. Um die Flammen fern zu halten. Um die grausame Nachricht fern zu halten, dass mein Vater wusste, wo ich war, und mich nicht auslösen wollte. Also konzentrierte ich mich auf etwas anderes. Da gab es den weißen Strand und die Seehunde mit ihren weisen Augen. Da war der Rote, der mich mit herzzerreißendem Lächeln beobachtete, und sein helles Haar wie ein Leuchtfeuer vor dem Grau und Grün und Blau des Meeres. Einen Augenblick lang sah ich ein Bild von John, der seinen winzigen Sohn in den Armen hielt, Liebe und Stolz auf dem wettergegerbtem Gesicht. Margery, die mir das Haar flocht. Es steht dir. Du solltest dich nicht mehr so verstecken. Nun, offenbar würde mein Ende öffentlich genug sein. Alle würden kommen, um die Hexe brennen zu sehen. Nein, denk nicht daran. Da war der Wald, das Sonnenlicht, das zwischen den Blättern hindurchfiel. Ein Kind tanzte barfuß über den weichen Boden, das Haar fiel ihr dunkel und wild auf die Schultern. Ihr Bruder beobachtete sie mit
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