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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Augen wie klares Wasser, mit Augen, die so weit blicken konnten. Ein Mädchen lief über den Sand; ihr Abbild in zarten Federstrichen. Das letzte Bild in diesem Buch.
    Ich hob die Hand, um die beiden kostbaren Gegenstände zu berühren, die immer noch um meinen Hals hingen. Lady Anne hatte gesagt, ihr Sohn liebte mich. Aber es war nicht Liebe, nicht, wenn man nur tat, was man tun musste, weil einem ein Befehl auferlegt war, den man nicht verstand. Er würde zurückkehren und ich würde weg sein, als hätte es mich nie gegeben. Vielleicht konnte er immer noch die zerrissenen Fäden seines Lebens zusammenweben. Und dennoch – ich wünschte, er wäre bei mir. Ich brauchte ihn. Im Dunkeln, wenn ich sehr reglos saß, konnte ich beinahe seine Gegenwart spüren, ganz nah, aber nicht nah genug. Habe ich nicht versprochen, auf dich aufzupassen, fragte er leise. Ich habe noch nie ein Versprechen gebrochen. Mach dir keine Sorgen, Jenny. Und dennoch, er wäre vorsichtig. Er würde mir nicht zu nahe kommen. Er würde mir keine Angst machen. Ich warte. Ich bin deine Zuflucht. Hab keine Angst.

KAPITEL 13
    Dann war es Morgen, und sie holten mich ab. Das war das erste Mal seit Mittsommer, dass ich mein winziges Gefängnis verlassen durfte. Damals hatte Conor versprochen, dass er meine Brüder bringen würde, wenn ich bereit war. Nun schien es, als würde ich nie bereit sein können. Ich blinzelte in dem Licht, das mir so lange versagt gewesen war, stolperte auf Beinen, die mir nicht gehorchen wollten, wurde unsanft in die Halle geschleppt. Man hatte am Ende des Raums einen langen Tisch aufgestellt, und hier saß Richard von Northwoods in schwarzem Samt und neben ihm ein rundlicher Mann im schlichten, dunklen Gewand eines Geistlichen. Dazu gab es zwei Schreiber, einer ein junger Mann mit Tonsur und einem bleichen, ernsten Gesicht, der andere der Hausschreiber von Harrowfield. Tintenfässer, Federn und Stapel von Pergament befanden sich auf dem Tisch vor ihnen, dazu Sand zum Trocknen der Tinte. Laternen waren nahe den Eingängen entzündet, denn die Sonne war noch nicht zwischen den Regenwolken hervorgekommen, und es war dunkel im Zimmer. Ein warmes Feuer brannte in der großen Feuerstelle. An den anderen drei Seiten der Halle gab es Bänke, und hier saßen die Pächter von Harrowfield, wie das Gesetz es verlangte. Es gab viele dort, die ich schon zuvor gesehen hatte, und andere, die mir fremd waren. Es war recht laut, alte Freunde tauschten Neuigkeiten aus, und solange sich die Gelegenheit bot, wurden kleine Handel abgeschlossen – ein paar Schweine, ein gutes Schaf. Als sie sahen, wie man mich zu dem Hocker mitten in der Halle brachte, wurden sie alle still.
    Richard erhob sich.
    »Die Verhandlung beginnt«, erklärte er. »In der Abwesenheit meines Neffen, Lord Hugh von Harrowfield, des Herrn dieser Ländereien, werde ich die Verhandlung führen. Es liegen diverse Anklagen vor, und alle von ihnen vertage ich auf morgen oder übermorgen. Speis und Trank wird den ganzen Tag für alle bereitstehen, so lange die Verhandlungen dauern.« Zustimmendes Gemurmel. »Heute geht es nur um eine einzige wichtige Angelegenheit. Dies betrifft die junge Frau, die als Jenny bekannt ist, die nun vor euch steht und mehrerer Verbrechen angeklagt wird, auf die jeweils die Todesstrafe steht, sollte sie sich als schuldig erweisen.« Alle Blicke wandten sich mir zu. Ich fühlte mich seltsam. War es der Schlafmangel oder der Mangel an Essen oder die ungewohnte Gegenwart so vieler Menschen, so viel Licht oder Lärm – vor meinen Augen war alles verschwommen und mir war schwindelig. Ich musste versuchen, mich zu konzentrieren.
    »Wie Ihr alle wisst, wurde diese Verhandlung mehrmals verschoben«, fuhr Richard fort, »weil es sich um eine so ernste Angelegenheit handelt. Ich hoffte, Vater Stephen von Ravenglass würde uns die Ehre seiner Anwesenheit erweisen, so dass die Meinung der Kirche eingeholt werden kann, besonders, was die Anklage wegen Zauberei angeht.« Die Versammelten keuchten entsetzt, als dieses Wort fiel. »Man hat mir erklärt, dass dies nicht möglich sein wird, und die Angelegenheit kann nun nicht länger verschoben werden. Ich heiße also Vater Dominic von Whitehaven willkommen, der hier anstelle von Vater Stephen als Vertreter des Bischofs weilt.« Bildete ich mir das nur ein, oder hatte ihn diese Veränderung ein wenig aus dem Konzept gebracht? »Die Verhandlung wird folgendermaßen ablaufen«, fuhr er fort, und nun war ich sicher.

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