Die Tochter der Wanderhure
Ritterbastard und wollte die Wachstube verlassen, doch sein Gefährte hielt ihn zurück.
»Du maßt dir zu viel an! Nur Herr von Gressingen kann entscheiden, ob diese Leute die Burg betreten dürfen oder nicht. Ich werde ihm ihre Ankunft melden.« Er stieß den anderen auf die Sitzbank zurück und verließ die Kammer. Während er den nur nachlässig vom Schnee geräumten Weg zur Hauptburg emporstieg, hörte er die Stimme der Frau, die sich quengelnd beschwerte, so lange in der Kälte vor dem Tor verweilen zu müssen.
Der Ritterbastard war über die Anmaßung seines Kameraden, ihm Anweisungen erteilen zu wollen, so empört, dass er ebenfalls aus der Wachstube trat und nach einem Blick auf den Rücken des Davoneilenden den schweren Torbalken löste. Als er sich gegen einen Torflügel stemmte, saß dieser wegen des reichlich gefallenen Schnees so fest, als hätte man ihn eingemauert.
»Ihr werdet mir helfen müssen, Leute! Allein krieg ich das Tor nicht auf«, rief er gerade so laut nach draußen, dass nur die Ankömmlinge ihn hören konnten.
Die vier, die Trudis Trabanten darstellten, stiegen aus den Sätteln und begannen, den Schnee mit Händen und Schwertern beiseitezuschaufeln. Dabei sahen ihnen die als Frauen verkleideten Kameraden von den Pferden aus fröhlich grinsend zu. In deren Augen war diese Arbeit genau die richtige Strafe für den Spott, den sie sich wegen ihrer Verkleidung hatten anhören müssen.
Kurz darauf stand ein Torflügel weit genug offen, um die Reiter einzeln passieren zu lassen. Eigentlich hätte Trudi nun umkehren und sich in Sicherheit bringen sollen. Stattdessen setzte sie sich an die Spitze des Zuges, beantwortete Junker Hardwins vorwurfsvollen Blick mit einer stummen Warnung und lenkte ihre Stute durch das Tor.
»Gott zum Gruße, edle Dame«, begrüßte der Wächter sie und starrte im nächsten Augenblick auf die Schwertspitze, die Steinsfeld ihm an die Kehle setzte. Das war jedoch zu früh, denn in dem Augenblick erreichte der andere Wächter das obere Tor und drehte sich noch einmal um.
Als er die Klinge aufblitzen sah, versuchte er, Alarm zu schlagen. »Angriff! Zu den Waffen!«, schrie er und wollte das Tor im oberen Mauerring schließen. Doch das war seit Tagen nicht mehr bewegt worden und saß im Schnee fest. Der Soldat rüttelte ein paarmal daran, begriff aber, dass dies vergeblich war, und rannte zur Winde, um das Fallgitter herunterzulassen.
Trudi hatte bereits bemerkt, dass er ihnen den Weg versperren wollte, und gab ihrer Stute die Sporen. »Vorwärts, meine Gute! Wenn der Kerl uns zuvorkommt, werden wir uns an der Burg die Zähne ausbeißen!«
Das Tier galoppierte den glatten, ansteigenden Weg hoch, und Trudi war froh um die Stollen, die einer der Männer aus Eichenlohs Truppe vor dem Aufbruch an den Hufeisen angebracht hatte. Als sie das innere Tor näher kommen sah, wurde ihr plötzlich bewusst, dass sie nur einen Dolch bei sich hatte.
Der Wächter hatte sein Schwert gezogen, schien aber unschlüssig, ob er auf sie warten oder das Seil der Winde, die das Fallgitter hielt, durchtrennen sollte. Der Gedanke, eine Gefangene zu machen, mit deren Hilfe seine Anführer die Eindringlinge erpressen konnten, war jedoch zu verlockend. Er trat einen Schritt von der Winde weg und sah Trudi grinsend entgegen.
Sie beugte sich tief über den Pferderücken, um nicht gegen die obere Torkante zu stoßen, und nahm für einen Augenblick nicht mehr wahr als das Klappern der Hufe auf dem mit Flusskies belegten Boden. Dann war der Mann vor ihr und drohte mit erhobenem Schwert.
»Bleibt stehen und steigt ab, Jungfer! Ihr seid meine Gefangene!«
»Das glaubst auch nur du!« Trudi stieß Wirbelwind die Sporen so kraftvoll in die Weichen, dass die Stute vor Schmerz aufwieherte und den Wächter mit voller Wucht rammte. Der Mann verlor seine Waffe, stürzte rücklings in eine Schneewehe, und bevor er sich aufgerafft hatte, waren die Eindringlinge über ihm.
»Du bist wohl verrückt geworden! Der Kerl hätte dich umbringen können«, herrschte Hardwin Trudi an.
Sie zuckte mit den Achseln. »Nachdem du so närrisch warst, dein Schwert zu ziehen, obwohl es nicht nötig war, blieb mir nichts anderes übrig. Hätte der Mann das Fallgitter herabgelassen, wäre eine Eroberung der Burg kaum noch möglich gewesen, und Eichenloh hätte dir das Fell bei lebendigem Leib über die Ohren ziehen lassen.«
Die Tatsache, dass Trudi recht hatte, ließ Hardwin kleinlaut werden. »Ich bin froh, dass es dir
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