Die Tochter der Wanderhure
von Georg von Gressingen zu erzählen, der Trudis Beschreibung zufolge ein prachtvoller junger Mann war, dem kein Zweiter das Wasser reichen konnte. Es war zu spüren, wie tief Trudis Liebe zu diesem Mann ging. Das sollte eigentlich kein Grund zum Weinen sein, denn Michel würde Gressingen als Eidam höchst willkommen sein. Aber Hiltrud wusste auch, dass Marie dem Junker nicht die gleiche Sympathie entgegenbrachte wie ihr Mann und ihre Tochter. Ihre Freundin hatte geäußert, Gressingen ähnele zu sehr Michels einstigem Todfeind Falko vonHettenheim und trüge auch Züge von Magister Ruppertus Splendidus, der ihren Vater umgebracht und ihr Heimat und Ehre genommen hatte. Da Hiltrud annahm, Maries Bild von dem Ritter würde durch ihre Voreingenommenheit gegenüber jungen Herren von Stand getrübt, hoffte sie inständig, Georg von Gressingen sei von edlem Charakter und wäre Trudis tiefer Liebe wert.
Doch während ihr Patenkind weitererzählte, schwand Hiltruds Zuversicht. Einmal im Redefluss verfangen, beichtete Trudi ihr auch das, was im Fuchsheimer Wald geschehen war, und sagte zuletzt weinend, sie warte seit jenem Tag darauf, dass Georg von Gressingen auf Kibitzstein erscheinen und seinen Schwur erfüllen würde.
Trudis Bericht erschreckte ihre Patentante so, dass sie einige Augenblicke brauchte, um sich zu fassen. Alles in ihr schrie danach, das Mädchen zu streicheln und zu trösten. Doch Trudi war kein kleines Kind mehr, das sich das Schienbein gestoßen hatte, und das, was geschehen war, würde auch die Zeit nicht heilen. Trudi hatte ihre Jungfernschaft an einen Mann verloren, der ihrer Liebe nicht wert war, und sie würde von Glück sagen können, wenn der Junker nicht im Kreis seiner Freunde mit seiner Eroberung prahlte.
Möglicherweise, berichtigte sie sich, tat sie ihm auch unrecht. Er konnte durch andere Pflichten oder Krankheit daran gehindert worden sein, nach Kibitzstein zu reiten und sich zu erklären. Noch während Hiltrud dieser Gedanke durch den Kopf schoss, kam Trudi darauf zu sprechen.
»Es muss etwas Unerwartetes dazwischengekommen sein, denn sonst wäre Junker Georg bereits hier gewesen. Gewiss wird er in den nächsten Tagen erscheinen und mich für sein Säumen um Verzeihung bitten. Aber wenn ich bis Ende dieser Woche nichts von ihm erfahren habe, reite ich nach Gressingen und sehe nach, was los ist.«
Hiltrud ließ das Mädchen los und schlug die Hände über dem Kopf zusammen. »Kind, das kannst du nicht tun! Deine Eltern würden dich niemals allein reiten lassen.«
Das Aufblitzen in Trudis Augen zeigte ihr, dass diese gewillt war, notfalls heimlich die väterliche Burg zu verlassen, um ihren Liebhaber zu treffen. Doch wenn sie dies tat und es bekannt wurde, geriet sie so in Verruf, dass kein Mann mehr um sie werben würde.
»Du solltest besser warten, bis du etwas von Junker Georg hörst. Wahrscheinlich musste er Hals über Kopf auf Reisen gehen, sonst hätte er dir eine Botschaft geschickt.«
»Daran habe ich noch gar nicht gedacht.« Trudi klammerte sich so stark an diese Möglichkeit, dass Hiltrud insgeheim die Heilige Jungfrau anflehte, Georg von Gressingen so bald wie möglich erscheinen zu lassen.
»Er muss kommen und mich heiraten. Schließlich habe ich ihm meine Tugend geopfert!« Nun klang Trudi kämpferisch, und Hiltrud sah neue Schwierigkeiten voraus, wenn dieser Wunsch sich nicht erfüllen würde.
»Vielleicht solltest du mit deiner Mutter darüber reden, und Marie mit deinem Vater. Michel ist Manns genug, um Gressingen zu zwingen, sein Wort zu halten.«
Trudi sprang erschrocken auf und wedelte mit den Armen. »Nein! Mama darf nichts davon erfahren. Frag nicht, wie oft sie mir gepredigt hat, ich müsse auf meine Jungfernschaft achten – so als wäre diese das höchste Gut der Welt. Dabei war sie selbst alles andere als eine Jungfrau, als mein Vater sie geheiratet hat.«
Das klang so verächtlich, dass Hiltrud die Hand ausrutschte, und sie erschrak mindestens ebenso wie Trudi, als der Schlag auf die Wange des Mädchens klatschte. Dennoch packte sie ihr Patenkind mit einem schmerzhaften Griff und zog es so nahe an sich heran, dass sich ihre Nasen beinahe berührten.
»Sag nie mehr ein böses Wort gegen deine Mutter! Sie ist der beste Mensch der Welt! Ich rate dir, mit ihr zu reden, denn wenn sie von Fremden erfährt, was mit dir los ist, wird sie mit Recht zornig auf dich sein.«
Trudi machte sich mit einer heftigen Bewegung frei. »Mama würde mir nicht glauben, wenn
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