Die Tochter der Wanderhure
stehen.
Doch Hertha von Steinsfeld schimpfte zwar über alles und jeden und auch über echte und vermeintliche Fehler ihres Sohnes, doch die verwerfliche Tat, die er tatsächlich begangen hatte, erwähnte sie nicht. Als bekannt wurde, dass der Fuchsheimer sie zur Hochzeit seiner Tochter einladen würde, die in wenigen Wochen stattfinden sollte, verstärkte sich Hardwins Verzweiflung. Er wollte nicht dorthin reiten, denn dann müsste er mit ansehen, wie Bona die Frau eines anderen wurde. Ohnehin litt er stark an den Folgen seines Tuns. Durch das Liebesspiel mit Bona war sein Appetit auf Frauen erwacht, aber wenn er die Mägde zu Hause mit der Maid auf Fuchsheim verglich, erschienen diese ihm geradezu abstoßend hässlich, und er beneidete Moritz von Mertelsbach von Tag zu Tag mehr.
Während Hertha von Steinsfeld die Pläne des Fuchsheimers mit sich selbst besprach, weil ihr Sohn meist nur stummer Zuhörerwar, lieferte das Thema auf Kibitzstein Stoff für viele Diskussionen. Michel war mehr denn je der Ansicht, dass nur ein fester Bund der Burgherren in der Lage sei, sich gegen die Begehrlichkeiten des Würzburger Bischofs zu behaupten. Doch ein Zusammenschluss musste offen geschehen und mit den Gesetzen des Reiches vereinbar sein. Allerdings war ihm klar, dass es fast unmöglich war, die vielen Reichsritter in den Landen um den Main unter eine Kappe zu bekommen.
Abt Pankratius hatte Michel nach Kibitzstein begleitet, um sich mit ihm zu beraten. Da der Burgherr und seine Frau ihm ein gastfreies Haus boten, blieb er gleich mehrere Tage und genoss dabei das Gespräch mit dem Hausherrn ebenso wie die gute Küche, die sich nicht vor der seines Klosters verstecken musste. Auf Kibitzstein wurde sogar abwechslungsreicher gegessen, da die Burgherrin weit gereist war und in die Töpfe vieler Länder hatte schauen können.
Anders als Marie bemerkte Michel nicht, dass Trudi ihre Pflichten in diesen Tagen nur sehr nachlässig erfüllte. Statt auf die Mägde zu achten und selbst mit Hand anzulegen, lief sie immer wieder zum Söller und spähte auf den Weg hinunter, der sich von Habichten zur Burg hochschlängelte. Wenn sie wieder zurückkehrte, hatte sich der erwartungsfrohe Ausdruck auf ihrem Gesicht verloren, und sie kaute auf ihren Lippen herum. Marie, die ihre Tochter besorgt beobachtete, gewann den Eindruck, ihre Älteste würde jedes Mal, wenn sie allein war, in Tränen ausbrechen. Als Trudi wieder einmal auf den Söller hinaustrat, anstatt das Anheizen des Backofens zu überwachen, humpelte ihre Mutter auf einen Stock gestützt hinter ihr her. »Nach wem hältst du denn so eifrig Ausschau?«
Trudi zuckte erschrocken zusammen, raffte ihren Rock und wollte sich an ihr vorbeischieben, um zurück in den Hof zu gehen. Doch Marie hielt sie fest. »Hast du etwa Heimlichkeiten vor deinem Vater und mir?«
Trudi schüttelte den Kopf, schob aber die Unterlippe vor, wie sie es immer tat, wenn sie sich störrisch zeigte.
Marie seufzte und versuchte, ihrer Tochter einen verständnisvollen Blick zu schenken, auch wenn sie sich über deren Pflichtvergessenheit ärgerte. »Irgendetwas ist doch mit dir los. Willst du es mir nicht sagen?«
Diesmal war das Kopfschütteln nur leicht angedeutet. Aber es machte Marie klar, dass es sinnlos war, weitere Fragen zu stellen. Drang sie in Trudi, würde dies nur zu einem heftigen Streit führen. Daher ließ sie sie los und blickte stumm hinter ihr her. Ihre Tochter eilte so hastig die Treppe hinunter, als wäre sie froh, aus ihrer Nähe zu kommen.
Warum vertraut sie mir nicht?, fragte Marie sich und seufzte tief. Irgendetwas hatte sie bei der Erziehung ihrer Tochter falsch gemacht. Dabei hatte sie immer nur das Beste für das Mädchen gewollt. Aber Trudi wollte einfach nicht einsehen, dass sie als Älteste mehr Pflichten übernehmen musste als ihre jüngeren Schwestern. Gerade in dieser Zeit, in der sie selbst sich wegen ihrer Knieverletzung trotz aller Salben, die ihr ihre Freundin, die Ziegenbäuerin, anrührte, nur mit Hilfe eines Stockes fortbewegen konnte, hätte sie sich etwas mehr Unterstützung von ihrer erwachsenen Tochter erhofft.
Marie ließ erschöpft die Schultern sinken und sagte sich, dass sie mit Michel über Trudi reden musste. Ihr Gemahl hing in einer schon übertriebenen Art an dem Mädchen und zog es seinen Geschwistern in allem vor. Das war höchst ungerecht, insbesondere ihrem einzigen Sohn gegenüber, der einmal Kibitzstein übernehmen würde und daher am stärksten auf
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