Die Tochter der Wanderhure
verschleppt hatten. In Lisa mochte zwar nicht das gleiche Blut fließen wie in Trudi und Hildegard, aber dennoch war sie im gleichen Maße Maries Tochter wie die beiden anderen.
»Ihr dürft mit niemandem darüber sprechen, auch mit eurer Mutter nicht. Irgendjemand könnte euch belauschen und es an unsere Feinde verraten.« Alikas Worte klangen beschwörend, und die beiden Mädchen nickten sofort.
»Unsere Lippen sind versiegelt!«, beteuerte Lisa.
Hildegard stimmte ihr sofort zu, stand dann aber auf. »Wir sollten nach Hause zurückkehren und Mama helfen!«
»Darüber wird sie sich freuen.« Alika zog die beiden noch einmal an sich und wollte gerade mit ihnen das Haus verlassen, als von draußen ein lauter Ruf erscholl.
»Michi ist zurück!«
Jetzt gab es für die drei kein Halten mehr. Sie stürmten zur Türhinaus und blickten erleichtert auf die Mistfuhre, die sich den Hangweg hinaufquälte.
»Michi hat die Kanone! Los, holt ein paar Bauern mit weiteren Zugtieren zum Vorspannen. Michis Ochsen schaffen es alleine nicht.« Alika versetzte den beiden Mädchen einen leichten Schubs und eilte dann in Richtung Burg, um Marie Bescheid zu sagen.
12.
D a einige Zeit verging, bis die beiden Mädchen genug Ochsen zum Vorspannen besorgt hatten, erreichten sie Michis Wagen fast zur gleichen Zeit wie ihre Mutter. Schon als sie den Weg hinabliefen, spürten sie, dass etwas Schlimmes passiert sein musste, denn der junge Mann peitschte sein Gespann, als wolle er die Tiere den schweren Wagen allein den Berg hochziehen lassen. Als sie näher kamen, erschraken sie darüber, wie unglücklich er aussah.
»Was ist passiert, Michi?«, fragte Marie ängstlich.
Hiltruds Sohn blies zischend die Luft aus den Lungen und warf einem der herbeieilenden Knechte die Zügel zu. Dann stieg er mit müden Bewegungen ab und legte den Bremskeil hinter ein Hinterrad, damit der Wagen auf der abschüssigen Straße nicht zurückrollte.
»Ich habe die Kanone. Es ging weitaus leichter, als ich es erwartet habe«, berichtete er und wies mit dem rechten Daumen auf den Wagen.
»Weshalb hat es dann so lange gedauert?«, wollte Marie wissen.
»So heftig hat der Winter doch noch nicht eingesetzt.«
Michi rieb sich mit dem Ärmel über die Augen, als müsse er Tränen abwischen, und senkte den Kopf. »Es ist etwas passiert, dem ich nachgehen musste. Am liebsten hätte ich Wagen undGespann Tesslers Knechten überlassen, um Euch die schreckliche Nachricht schneller überbringen zu können. Nun aber weiß ich nicht, wie ich anfangen soll.«
»Nun sag schon, was los ist!«, drängte Marie ungeduldig.
»Trudi ist verschwunden! Sie ist nur ein paar Tage in Schweinfurt bei meiner Schwester gewesen und hat dann die Stadt verlassen. Mariele und ihrem Mann hat sie erklärt, sie hätte die Erlaubnis von Euch, eine Wallfahrt zu machen, um für das Seelenheil ihres Vaters zu beten. Meine Schwester, dieses Schaf, hat sie einfach gehen lassen, anstatt einen Boten zu Euch zu schicken und nachzufragen, und mein Schwager hat ihr sogar noch zwei Waffenknechte mitgegeben. Die aber sind kurz nach dem Christfest allein zurückgekehrt. Trudi hat sich irgendwo im Bayrischen von ihnen getrennt, um noch weitere Kirchen und heilige Orte aufzusuchen.
Ich konnte selbst mit beiden Männern sprechen und glaube ihnen, dass sie auf Trudi eingeredet haben wie auf eine kranke Kuh. Sie sagten, die Jungfer habe sich geweigert, mit ihnen nach Schweinfurt zurückzukehren. Daraufhin hätten sie sich von ihr getrennt, wären aber an den ersten Tagen nur langsam gereist, um ihr die Möglichkeit zu geben, zu ihnen aufzuschließen. Die Männer waren überzeugt gewesen, Trudi würde es mit der Angst zu tun bekommen und ihnen folgen. Aber sie haben sie nicht wiedergesehen. Die beiden konnten sogar einen Brief von Trudi vorweisen. Hier ist er.« Michi zog ein Blatt heraus und reichte es Marie.
Diese überflog den Inhalt und zerknüllte das Papier mit einer heftigen Bewegung. »Trudi ist übergeschnappt! Sie schreibt, sie reise mit Uta und Lampert allein weiter. Dabei kennt sie sich in diesen Gegenden doch gar nicht aus. Wer weiß, was ihr inzwischen alles zugestoßen ist …«
Michi spreizte abwehrend die Hände. »Ich hätte mir am liebsten von meinem Schwager ein Reitpferd ausgeliehen, um Trudi zusuchen. Aber da war die Kanone, auf die ich aufpassen musste, und ich wollte auch nicht, dass Ihr die Nachricht von einem Fremden erfahrt. Jetzt aber wird mich nichts mehr davon abhalten, ihr zu
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