Die Tochter der Wanderhure
folgen.«
Während Michi insgeheim mit seiner Schwester haderte, die seiner Meinung nach besser auf das Mädchen hätte aufpassen müssen, erklärte er Marie, wo er mit seiner Suche anfangen wollte. Es würde ein langer Ritt werden, und er hoffte, dass sich die Leute in den Herbergen an Trudi erinnerten und ihm sagen konnten, wohin sie sich gewandt haben mochte.
Marie stand zunächst wie erstarrt, glättete dann den Brief und las noch einmal den Namen des Ortes, den ihre Tochter als nächsten hatte aufsuchen wollen. »Weißt du, wo dieses Altötting liegt?«, fragte sie.
Michi schüttelte den Kopf. »Nein, leider nicht. Es muss ziemlich weit weg sein, denn ihre Begleiter haben sich hinter Freising von ihr getrennt, und das soll dem Vernehmen nach schon tief im Bayernland liegen. Ich werde zusehen, dass ich so schnell wie möglich dorthin komme und Trudis Spur aufnehmen kann. Wenn ich nur wüsste, was sie wirklich geplant hat! Eine Pilgerschaft passt so gar nicht zu ihr.«
Lisa und Hildegard sahen einander nachdenklich an. Als die Jüngere den Mund öffnete, um etwas zu sagen, legte ihr die Schwester den Arm auf die Hand, als wolle sie sie zurückhalten. Marie entging diese Geste, doch Alika bemerkte sie und trat neben die zwei. »Ihr seht mir so aus, als würdet ihr etwas verbergen. Heraus mit der Sprache! Oder wollt ihr, dass wir uns doppelt und dreifach Sorgen um eure Schwester machen?«
Marie und Michi drehten sich zu den beiden Mädchen um, deren Mienen ihr schlechtes Gewissen verrieten.
»Redet, sonst setzt es was!«, befahl Marie ihnen scharf.
»Trudi wollte zum König reisen und ihn um Hilfe bitten, da Kibitzstein als reichsfreie Herrschaft unter seinem Schutz steht.«
Wie meist war es Hildegard, die der Autorität der Mutter sofort gehorchte.
Marie sah zuerst sie und dann Lisa an und schüttelte den Kopf. »Sagt bloß, ihr wusstet von Anfang an, was Trudi im Sinn hatte?«
»Sie hat es uns gesagt, bevor sie nach Schweinfurt gereist ist, und uns um Geld für diese Fahrt gebeten. Wir haben ihr alles gegeben, was wir hatten, sogar unseren Schmuck!« Lisa sagte es in einem Ton, als würde sie dafür auch noch Dank erwarten. Marie hätte am liebsten die nächste Gerte geschnitten und die beiden Mädchen durchgebleut. Ihr Verstand sagte ihr jedoch, dass ihre Älteste die treibende Kraft hinter dem Ganzen gewesen war. Daher streckte sie die Arme aus und drückte die beiden Mädchen an sich.
»Ich weiß, ihr habt es gut gemeint! Aber ihr hättet es mir sagen müssen. Jetzt ist Trudi in der Ferne, hat wahrscheinlich viel zu wenig Geld in der Tasche und weiß doch nicht einmal, wo Österreich liegt. Wie will sie da den König finden?«
»Trudi ist gewitzt und weiß sich zu behaupten. Außerdem wird sie unterwegs immer wieder auf Leute treffen, die ihr weiterhelfen können.« Michi wollte eigentlich nur Marie beruhigen, doch als er in sich hineinhorchte, klammerte auch er sich an die Hoffnung, dass dieses verrückte Mädchen den weiten Weg bewältigt haben könnte.
»Auf jeden Fall weiß ich jetzt, wo ich suchen muss«, sagte er mit einem etwas missratenen Lächeln.
Marie schüttelte energisch den Kopf. »Nein! Hier benötige ich dich dringender. Auch wenn ich mich noch so sehr um Trudi sorge, darf ich die Gefahr nicht vergessen, in der wir alle schweben. Wenn du Kibitzstein verlässt, gibt es niemanden hier, der unsere Leute zusammenhalten und ihnen Mut einflößen kann. Jetzt, da wir wissen, wohin Trudi sich gewandt hat, kann ich Gereon hinter ihr herschicken und ihm gleich eine Botschaft an denKönig mitgeben. Man hört zwar nicht viel Gutes über Herrn Friedrich, aber es könnte auch einmal ein Wunder geschehen. Ich muss jetzt ein anderes Problem lösen.«
Marie winkte Alika zu sich. »Theres und du, ihr werdet so bald wie möglich aufbrechen und die beiden Mädchen mitnehmen. Ich will Hildegard und Lisa in Sicherheit wissen.«
»Aber Mama, das kannst du nicht tun!«, protestierte Lisa. Doch die Miene ihrer Mutter verriet ihr, dass jeder Widerspruch sinnlos war.
SIEBTER TEIL
Der Anschlag
1.
G eorg von Gressingen bot Trudi ein Bild vollkommener Niedergeschlagenheit. »Das ist allein Eichenlohs Schuld!«, klagte er und warf einen sehnsüchtigen Blick durch das schmale Fenster. »Hätte er mich nicht beim König verleumdet, wäre ich nie in diese Kammer gesperrt worden, die ich nur zur Messe und zu den Mahlzeiten verlassen darf!«
Wie er es beabsichtigt hatte, schürten seine Worte Trudis Pein.
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