Die Tochter der Wanderhure
sie nach Dieboldsheim mitzunehmen. Dabei hatte sie gehofft, der schlechten Stimmung zu Hause eine Weile zu entkommen und vielleicht auch von Frau Wiburg etwas über Junker Georgs jetzigen Aufenthalt zu erfahren. Ritter Ingoberts Gattin interessierte sich jedoch für nichts, was außerhalb ihrer Sippe geschah, sondern erzählte nur von ihren Kindern, besonders von ihren beiden Söhnen, die Trudi für unerzogene, kleine Ungeheuer hielt. Während sie der Hausherrin zuhörte und nur hie und da ein Wort einwarf, zerrten die beiden Buben an ihrem Kleid und beschmierten es mit ihren schmutzigen Händen. Dabei plärrten und kreischten die beiden so infernalisch, dass sie ihnen am liebsten eine derbe Tracht Prügel verabreicht hätte.
Über Frau Wiburgs Jüngstes, ein Mädchen, konnte man noch nicht viel sagen. Es lag noch in den Windeln und wurde von einer alten Magd in einem abgelegenen Teil der Burg betreut, damit sein Schreien nicht an die mütterlichen Ohren drang. Schon nach kurzer Zeit war Trudi klargeworden, dass ihre Gastgeberin das Mädchen für nutzlosen Ballast hielt, während sie ihre Söhne vergötterte.
Unwillkürlich musste Trudi daran denken, mit welcher Liebe ihre Mutter sie und ihre Geschwister aufgezogen hatte, und fühlte Verachtung für die geschwätzige Frau, die gerade erst die dreißig überschritten hatte und bereits stark in die Breite ging.
»Ihr seid so schweigsam, meine Liebe!« Wiburg von Dieboldsheim liebte es, ein Gespräch zu beherrschen, forderte aber von Zeit zu Zeit eine Bestätigung ihrer Worte ein.
Trudi rang sich ein Lächeln ab. »Verzeiht, Frau Wiburg, aber einem sittsamen Mädchen steht es nicht an, in Anwesenheit einer älteren und erfahrenen Dame ungefragt das Wort zu ergreifen.«
»Das ist wahr! Ein Mädchen muss zum Gehorsam erzogen werden und dazu, ihrem künftigen Gemahl eine treue und fürsorgliche Gemahlin zu sein.«
Mit ihrer Antwort hatte Trudi Frau Wiburg das Stichwort für einen längeren Vortrag über die Pflichten und Aufgaben einer Tochter aus ritterlichem Haus geliefert. Da sie nur so tun musste, als höre sie aufmerksam zu, konnte Trudi ihren eigenen Gedanken nachhängen. Doch langsam sehnte sie sich nach Erlösung von dem selbstgerechten Wortschwall.
Diese erschien in Form des Gastgebers, der breitbeinig in den Raum trat und sein Weib mit einem einzigen Blick zum Verstummen brachte. Auch das herumtobende Brüderpaar wurde sofort still und starrte den Vater ängstlich an. Trudi schüttelte sich innerlich, als sie sich vorstellte, welche Verhältnisse in dieser Familie herrschen mussten. Dagegen waren ihre eigenen Eltern lauteres Gold.
»Dein Vater wartet auf dich, Hiltrud!«
Trudi kniff die Lippen zusammen, weil Ingobert von Dieboldsheim sie ansprach, als sei sie ein kleines Kind. Seinem Weib und den Söhnen gönnte er kein Wort. Stattdessen griff er nach ihrem Arm und zog sie hoch. »Du willst ihn doch nicht warten lassen?«
Das wollte Trudi wirklich nicht. Sie mochte es aber auch nicht, gegen ihren Willen mitgezerrt zu werden, doch der Ritter hielt sie so fest, dass sie sich nicht befreien konnte. Sie konnte der Burgherrin gerade noch ein Abschiedswort über ihre Schulter zurufen, dann schleifte ihr Gastgeber sie durch die Gänge, als sei sie eine ungehorsame Magd.
Zu ihrer Verwunderung wandte Ritter Ingobert sich nicht der Treppe zu, die in den Rittersaal hinabführte, sondern stieg dieenge Wendeltreppe im Turm hinab. Dort gab es nur ein paar kleine Schießscharten, durch die kaum Licht fiel, und es war so düster wie in einer Kapelle an einem Winterabend. Auch brannte keine Fackel, um die Stufen auszuleuchten, und das einzige Geräusch, das Trudi hörte, waren die Schritte und das gepresst klingende Atmen des Ritters, das immer schärfer wurde.
Als die Treppe in einer kleinen Kammer mündete, durch deren Sichtluken sich das Umland überwachen ließ, blieb der Ritter stehen und zog Trudi zu sich her. Sein nach Wein riechender Atem strich über ihre Wange, und trotz des Dämmerlichts sah sie sein gierig verzerrtes Gesicht dicht über ihrem.
»Einen Kuss, Jungfer, als Wegzoll sozusagen«, flüsterte er mit rauher Stimme.
So ähnlich hatte es auch in Fuchsheim angefangen, und Trudi schämte sich immer noch, wenn sie daran dachte, wie es geendet hatte. Dabei liebte sie Junker Georg, während der Dieboldsheimer einfach nur widerwärtig war. Wütend stieß sie ihn zurück und riss sich von ihm los.
»Küsst Euer Weib, wenn Euch danach ist, oder sucht Euch
Weitere Kostenlose Bücher