Die Tochter der Wanderhure
Abkunft zum Vorwurf gemacht hatte. Dabei war das Mädchen von ihrem Wesen her das genaue Gegenteil von Hulda, und es hatte auch nichts von Falko von Hettenheim an sich. Hätte Marie Lisas Mutter nicht gut gekannt, wäre ihr der Verdacht gekommen, diese habe nach sechs Töchtern, die ihr Gemahl mit ihr gezeugt hatte, sich einem anderen Mann hingegeben, um von diesem den erhofften Sohn zu empfangen.
Mit einem zornigen Schnauben schob Marie die Erinnerungen an Hulda beiseite und überlegte, wie sie den Streit beenden konnte. Das war nicht leicht, denn Trudi besaß einen ungewöhnlich harten Kopf und würde nicht bereit sein, so rasch einzulenken. Schließlich rang sie sich ein Lächeln ab, um Hildegard zu beruhigen. »Ich danke dir, Kind. Wenigstens weiß ich jetzt, weshalb meine Töchter so wirken, als seien sie einander spinnefeind.«
»Daran ist nur dieser Gressingen schuld. Lisa hat gesagt, sie würde ihn ebenso wenig mögen wie du, Mama, und da hat Trudi sie geschlagen.«
»Gressingen also.« Maries Laune sank noch tiefer. Junker Georg war nicht der Bräutigam, den sie sich für ihre älteste Tochter wünschte, denn Gressingens übermäßiger Stolz auf seine ritterliche Ahnenreihe schien ihr keine gute Grundlage für eine Ehe. Sie sah kommen, dass Trudi vielerlei Demütigungen und Kränkungen ausgesetzt sein würde, und davor wollte sie ihre Älteste bewahren.
»Mama, bitte sag den anderen nicht, dass ich dir alles erzählt habe.« Angstvoll blickte Hildegard zu ihrer Mutter auf. Sie liebte ihre Schwestern und bat den Herrn Jesus Christus in jedem Nachtgebet, Trudi und Lisa wieder miteinander zu versöhnen. Nun aber fürchtete sie, sich den Zorn der beiden zuzuziehen, falls die Mutter zu streng mit ihnen verfuhr.
Marie strich ihr tröstend über das Haar. »Keine Sorge, Liebes. Von mir erfährt niemand etwas.«
Noch während sie es sagte, glaubte sie aus den Augenwinkeln einen Schatten bemerkt zu haben, doch als sie sich umdrehte, war niemand zu sehen. »Mach dir keine Sorgen. Es wird alles wieder ins Lot kommen«, sagte sie zu Hildegard und fasste innerlich den Entschluss, alles zu tun, um den Frieden auf Kibitzstein wiederherzustellen. Sollte Trudis Verbindung mit Gressingen der einzige Weg sein, würde sie diese Ehe sogar fördern.
16.
U ta war auf dem Weg in Trudis Schlafgemach, als sie Marie und Hildegard in der Turmkammer entdeckte. Von ihrer Neugier getrieben, drückte sie sich an die Wand neben der offenen Tür und belauschte das Gespräch zwischen Mutter und Tochter. Empört, weil dieser kleine Bastard, wie sie Hildegard für sich nannte, es wagte, ihre geliebte Trudi zu beschuldigen, kehrte sie um und suchte ihre Herrin. Als sie auf dem Burghof ankam, sagte ein Knecht ihr, dass Trudi mit Ritter Michel ausgeritten sei. Es handelte sich um einen der Nachbarschaftsbesuche, die Michel in noch stärkerem Maße unternahm als früher, um sich mit den Burgherren der Umgebung zu beraten und Nachrichten auszutauschen.
Während Uta enttäuscht in den Palas zurückkehrte und wieder ihrer Arbeit nachging, saß Michel seinem Nachbarn Ingobertvon Dieboldsheim gegenüber und versuchte, seinen steigenden Ärger zu unterdrücken. Der Vater seines Gastgebers war ein Kampfhahn gewesen, den er mehr als einmal hatte bremsen müssen, doch der jetzige Burgherr ging Problemen am liebsten aus dem Weg.
Gerade wackelte er wieder mit seinem runden Schädel, als könne er nicht glauben, was Michel ihm eben berichtet hatte. »Also, das mit Gressingen kann nicht so schlimm sein, wie man es sich erzählt. Der höchstwürdige Herr Bischof will dem jungen Ritter die Burg gewiss nicht wegnehmen, sondern ihn nur zwingen, ihm den Treueid zu leisten. Darauf hat er ein Anrecht, denn Gressingen gehörte einmal zu Würzburg, und das Hochstift hat nie auf seine Herrschaftsrechte verzichtet. Sobald Junker Georg dies anerkennt, wird er seinen Besitz zurückerhalten.«
»Aber nur als Lehen, nicht als Allod«, wandte Michel ein.
»Nicht jeder Ritter kann sich rühmen, allein dem Kaiser untertan zu sein.« Der Dieboldsheimer klang neidisch. Zwar übte seine Sippe bereits seit mehreren Generationen die Herrschaft über diese Burg und das Land darum aus, doch sein kleiner Herrschaftsbereich war einst das Geschenk eines Würzburger Bischofs an einen Neffen gewesen. Daher musste auch er damit rechnen, von Gottfried Schenk zu Limpurg aufgefordert zu werden, dessen Ring zu küssen und ihm Treue zu schwören. Sein Vater hatte es sich noch leisten
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