Die Tochter der Wanderhure
schallende Ohrfeige. »Du kleines Miststück! Du bist genauso schlecht wie deine Mutter!«
Lisa wurde weiß wie frisch gefallener Schnee und lief weinend davon.
»Das war gemein von dir«, schrie Hildegard und spie vor Trudi aus. Dann musste sie ebenfalls wegrennen, um nicht geohrfeigt zu werden.
Fassungslos angesichts der Zwietracht, die sie unter den Schwestern gesät hatte, blickte Hiltrud ihr Patenkind tadelnd an. »Das war nicht recht! Lisa hat dir wirklich nichts getan, und sie auf diese Weise daran zu erinnern, dass sie nicht eure richtige Schwester ist, war sehr ungezogen.«
Trudi schürzte beleidigt die Lippen. »Lisa ist aber nun einmal die Tochter dieser unsäglichen Hulda von Hettenheim und besitzt einen hässlichen Charakter.«
»Das sagst du doch nur, weil Gressingen ihr nicht gefällt. Herrgott im Himmel! Menschen haben nun einmal unterschiedliche Geschmäcker. Darf ich dich daran erinnern, dass deine Mutter auch nicht gerade begeistert von ihm ist.«
Trudi stampfte mit dem Fuß auf. »Aber nur, weil Lisa ihn bei ihr verleumdet hat!«
In den Augen der Ziegenbäuerin war es wohl eher Marie, die Lisa beeinflusste. Hätte ihre Freundin Georg von Gressingen als angenehmen jungen Mann bezeichnet, wäre Lisa die Erste gewesen, die sich dieser Meinung angeschlossen hätte.
Hiltrud seufzte und wandte sich zum Gehen. »Gott sei mit dir, Kind! Ich wünsche dir nur das Beste. Aber du musst auch gescheit sein«, sagte sie noch, erhielt aber keine Antwort.
Trudi stand mit verschränkten Armen und zusammengepressten Lippen neben der Leiter und starrte ins Leere. All ihre Gedanken galten Georg von Gressingen, und sie verfluchte den Fürstbischof, der ihrem Geliebten die Heimat und ihr selbst die Aussicht auf eine rasche Heirat genommen hatte.
15.
D ie Ohrfeige im Obstgarten blieb nicht ohne Folgen, Trudi redete von da an kein Wort mehr mit ihren Schwestern, und die beiden Jüngeren gingen ihr aus dem Weg. Marie und Michelwunderten sich über das Verhalten ihrer Kinder, doch als sie nachfragten, stießen sie auf einen Wall aus Trotz, der selbst die Kibitzsteiner Wehrmauern zu überragen schien.
Marie ließ jedoch nicht locker. Sie wartete, bis Lisa ins Dorf gegangen und Trudi mit Michel ausgeritten war. Dann humpelte sie zu Hildegard, die in einem Turmzimmer Wolle sortierte, und legte ihr die Hand auf die magere Schulter.
»Ich will dich nicht dazu überreden, deine Schwestern zu verpetzen. Aber du siehst gewiss selbst ein, dass es so nicht weitergehen kann.«
Hildegard blickte ängstlich zu der Frau auf, die sie immer wie ihr eigenes Kind behandelt hatte, obwohl sie, wie sie dem Geschwätz der Mägde entnommen hatte, eigentlich Michel Adlers Tochter mit einer Konkubine war. Marie aber hatte sie dies nie spüren lassen, sondern ihr ebenso viel Liebe geschenkt wie Lisa oder Trudi. Daher hatte Hildegard Angst, ihre Ziehmutter zu enttäuschen. Sie wollte aber auch das Vertrauen ihrer Schwestern nicht verlieren und fühlte sich wie zerrissen.
Marie zog Hildegard an sich und streichelte sie, ohne zu drängen, und nach einer Weile schluchzte das Mädchen auf. »Mama, ich bin keine Petze, und ich möchte, dass wir uns alle vertragen. Aber Trudi hat Lisa vorgeworfen, sie sei nicht unsere Schwester und so schlecht wie ihre richtige Mutter.«
Das gemeinsame Blut von Vatersseite her hätte Hildegard eigentlich dazu bringen müssen, für Trudi einzutreten. Doch gerade der Vater behandelte sie eher kühl. Sie selbst und Lisa hatten die Ältere oft wegen der Zuneigung beneidet, die er ihr schenkte. Nun bot sich ihr die Gelegenheit, Trudi diese Bevorzugung heimzuzahlen, und daher erzählte sie ihrer Ziehmutter alles über den Streit, der zwischen Trudi und Lisa ausgebrochen war.
Marie drückte das Mädchen mit zusammengepressten Lippen an sich und versuchte, ihre Gefühle im Zaum zu halten. Sie und Michel hatten oft überlegt, ob sie Lisa das Geheimnis ihrer Herkunftverschweigen sollten, sich dann aber dagegen entschieden, damit das Mädchen es nicht von Fremden erfuhr. Allerdings hatten sie dem Kind nichts von den Untaten berichtet, die Hulda von Hettenheim begangen hatte, sondern ihr nur erklärt, diese sei ihre Feindin gewesen und habe sie bis zuletzt bekämpft. Die genauen Umstände von Huldas Tod hatten sie Lisa ebenso vorenthalten wie die Tatsache, dass die leibliche Mutter sie einem schrecklichen Schicksal ausgeliefert hatte.
Für Marie war es schmerzlich, zu erfahren, dass ihre eigene Tochter Lisa die
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