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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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glaube, ich will nur, daß er glücklich wird. Ich wünsche mir, daß er alles bekommt, was er sich wünscht. Mir ist egal, was das ist, solange er gut ist und ehrlich zu sich selbst. Und großzügig und stark wie sein Vater.«
    »Nein«, widersprach David, der sich bei ihrem Lob unwohl fühlte. »Er soll nicht so werden wie ich.«
    Sie warf ihm einen forschenden, erstaunten Blick zu. »War um denn nicht?«
    Darauf erwiderte er nichts. Nach einem langen Moment des Zögerns fragte Norah erneut. »Was ist los?« Ihre Frage klang nicht herausfordernd, sondern nachdenklich, so als wenn sie versuchte, die Antwort beim Sprechen selber herauszufinden. »Was ist mit
uns
los, David?«
    Statt zu antworten, versuchte er einen plötzlichen Anflug von Ärger zu unterdrücken. Warum mußte sie schon wieder daran rühren? Warum konnte sie die Vergangenheit nicht ruhen lassen und endlich nach vorne schauen? Statt dessen fing sie von neuem an.
    »Seit Paul auf der Welt und Phoebe gestorben ist, ist nichts mehr so wie früher. Und du willst noch immer nicht über sie reden. Es ist, als ob du die Tatsache, daß es sie gegeben hat, ausradieren wolltest.«
    »Was willst du eigentlich von mir, Norah? Natürlich hat sich unser Leben verändert.«
    »Werd nicht schon wieder wütend. Das machst du doch nur, damit ich nicht mehr von ihr rede, oder? Aber diesmal werde ich nicht nachgeben, denn es ist wahr, was ich sage.«
    Er seufzte. »Bitte, mach uns nicht den schönen Tag kaputt, Norah!« bat er schließlich.
    »Das mache ich nicht«, sagte sie unnachgiebig und rückte von ihm ab. Sie legte sich auf die Decke und schloß die Augen. »Ich bin mit diesem Tag sehr zufrieden.«
    |152| Einen Moment lang betrachtete er sie. Ihr kurzes blondes Haar erstrahlte im Sonnenlicht, und ihr Brustkorb hob und senkte sich bei jedem Atemzug. Am liebsten hätte er sie berührt, hätte die zart gebogenen Rippenknochen mit den Fingern nachgezeichnet und die Stelle geküßt, an der sich die Knochen berührten, von der sie sich wie Flügel wegspreizten.
    »Norah, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Ich weiß nicht, was du von mir erwartest.«
    »Nein, das weißt du nicht«, stellte sie fest.
    »Dann sag es mir!«
    »Vielleicht muß ich es dir erklären. Waren sie sehr verliebt, deine Eltern?« fragte sie unvermittelt, mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme war noch immer sanft und ruhig, aber er merkte, daß eine neue Spannung in der Luft lag.
    »Das weiß ich nicht«, sagte er langsam und vorsichtig, während er zu ergründen versuchte, aus welcher Richtung ihre Frage kam. »Sie liebten sich zwar, aber mein Vater war oft nicht da. Wie ich schon sagte, hatten sie ein schweres Leben.«
    »Mein Vater hat meine Mutter mehr geliebt als sie ihn«, sagte Norah, und Davids Unbehagen wuchs. »Er liebte sie, aber er konnte seine Liebe wohl nicht so ausdrücken, daß sie ihn verstehen konnte. Sie hielt ihn bloß für exzentrisch und dachte, er würde ein bißchen neben der Spur laufen. Ich bin in einem Haus aufgewachsen, wo viele Dinge ungesagt blieben. Auch wir leben in einem ziemlich stillen Haus«, fügte sie hinzu und dachte an die ruhigen Abende, an denen sie mit gebeugtem Kopf über dem kleinen weißen Hut mit den Enten gesessen hatte.
    »Aber es ist eine gute Stille«, sagte er bestimmt.
    »Manchmal.«
    »Und wann nicht?«
    »Ich denke noch immer an sie, David«, sagte sie und drehte sich auf die Seite, um ihm in die Augen zu sehen. »Unsere Tochter, wie würde sie wohl sein?«
    |153| Er antwortete nicht, und als er sie wieder ansah, hatte sie die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte still. Erst nach einem kurzen Zögern wandte er sich ihr zu und berührte sie am Arm; sie wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Und du?« fragte sie auf einmal heftig. »Vermißt du sie nicht auch manchmal?«
    »Doch«, antwortete er wahrheitsgemäß. »Ich denke andauernd an sie.«
    Norah legte ihre Hand auf seine Brust, und plötzlich waren ihre beerenverschmierten Lippen auf seinen, und er schmeckte eine brennende Süße, die sein Verlangen weckte. Er fiel zurück, spürte die Sonne auf seiner Haut und ihre Brüste, die sich zart, wie Vögel, gegen seine Hände wölbten. Sie suchte nach den Knöpfen seines Hemdes, wobei sie mit der Hand über den Brief strich, den er in seiner Brusttasche versteckt hatte.
    Er zog das Hemd über seinen Kopf, aber selbst als er die Arme wieder um sie schloß, dachte er:
Ich liebe dich. Ich liebe dich so sehr, und ich habe dich

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