Die Tochter des Fotografen
vorbei an Höhleneingängen, Sträußen von rosafarbenen Rhododendren und Lorbeerrosen. Norah führte sie vom Hauptweg weg in den Wald, wo sie einem Bachlauf bis zu einer sonnigen Lichtung folgten, die sie wegen ihrer Walderdbeeren in Erinnerung behalten hatte. Leicht bewegte der Wind das lange Gras, und die dunkelgrünen Blätter der Erdbeerpflanzen glänzten am Boden. Es war heiß, in der Luft hing ein schwerer süßer Duft, und die Insekten summten.
Sie schlugen ein Tuch auf und breiteten Käse, Cracker und Weintrauben darauf aus. David setzte sich und stützte Pauls Kopf mit seiner Brust, während er die Babytrage abnahm. Seine Gedanken schweiften zu seinem Vater. Er war stämmig und kräftig gewesen, und unter seinen stumpfen Fingern war Davids Hand völlig verschwunden, wenn er ihn lehrte, eine Axt zu halten, zu melken oder einen Nagel durch die Zedernschindeln zu schlagen. Nach Schweiß und Harz hatte sein Vater gerochen und nach der Erde aus den dunklen Minen, in denen er im Winter arbeitete. Er hatte einen roten Bart getragen, war schweigsam und sanftmütig gewesen und |147| hatte eine Engelsgeduld gehabt. Selbst als Teenager, als David die Woche über in der Stadt wohnte, um zur Schule gehen zu können, hatte er sich darauf gefreut, am Wochenende nach Hause zu laufen und seinen Vater mit einer Pfeife im Mund auf der Veranda sitzen zu sehen.
»Fäh«, lallte Paul. Von den Trägern befreit, zog er sofort einen Schuh aus. Er sah ihn aufmerksam an, ließ ihn im nächsten Augenblick fallen und kroch auf die grüne Welt hinter dem Tischtuch zu. David beobachtete, wie er eine Handvoll Unkraut ausriß und in den Mund steckte, worauf sich Erstaunen über dessen fremdartige Konsistenz in seinem Gesicht ausbreitete. Plötzlich wünschte er sich sehnlichst, daß seine Eltern noch lebten, um seinen Sohn sehen zu können.
»Schreckliches Zeug, was?« fragte er zärtlich, als er mit Gras vermischten Sabber von Pauls Kinn wischte. Norah kam an seine Seite und packte ruhig und routiniert Besteck und Servietten aus. Weil er nicht wollte, daß sie ihn so aufgerührt sah, hielt er sein Gesicht von ihr abgewandt. Aus seiner Tasche holte er eine Druse, die Paul mit beiden Händen ergriff und umdrehte.
»Soll er die in den Mund stecken?« fragte Norah und setzte sich so dicht neben ihn, daß er ihre Wärme spürte und ihren Geruch wahrnahm, Schweiß und Seife.
»Besser nicht«, erwiderte er und tauschte den Stein mit einem Cracker aus. Die Druse war warm und feucht. Er schlug sie hart auf einen Felsen und brach sie auf, um ihr purpurnes kristallines Herz freizulegen.
»So schön«, murmelte Norah, als sie sie in der Hand hin und her wendete.
»Das Urmeer«, erklärte David. »Das Wasser wurde darin eingeschlossen und verfestigte sich im Lauf der Jahrtausende zu solcher Schönheit.«
Sie aßen und pflückten träge ein paar reife Erdbeeeren, die weich und sonnenwarm waren. Paul aß ganze Hände voll, und der Saft rann ihm an den Handgelenken hinunter. Zwei |148| Falken kreisten am lichtblauen Himmel. »Didi«, sagte Paul, während er mit seinem pummeligen Ärmchen auf sie zeigte. Als er später einschlief, legte ihn Norah auf eine Decke in das schattige Gras.
»Das ist schön«, sagte sie, gegen einen Felsbrocken gelehnt. »Nur wir drei und die Sonne.«
Sie war barfuß, und er nahm ihre Füße in die Hände und massierte sie; zarte Knochen, verborgen unter Haut und Muskeln.
»Mhh«, schnurrte sie genießerisch und schloß die Augen. »Und das ist erst angenehm. Gleich schlafe ich ein.«
»Bleib wach«, bat er sie. »Sag mir, woran du denkst.«
»An nichts Besonderes. Ich habe gerade an das kleine Feld beim Schafhof gedacht, wo Bree und ich, als wir klein waren, immer auf unseren Vater gewartet haben. Dort haben wir riesige Sträuße von Sonnenhut und Wiesenkerbel gepflückt. Die Sonne hat sich genauso angefühlt wie jetzt – wie eine Umarmung. Obwohl unsere Mutter allergisch war, hat sie die Sträuße im ganzen Haus aufgestellt.«
»Das hört sich nett an«, sagte David und ließ einen Fuß los, um sich dem anderen zu widmen. Mit seinem Daumen fuhr er behutsam über die dünne weiße Narbe, die das zerbrochene Blitzlicht hinterlassen hatte. »Das ist eine schöne Vorstellung, du in dieser Umgebung.« Norahs Haut war weich, und seine Gedanken wanderten zu den sonnigen Tagen seiner eigenen Kindheit, bevor June so krank geworden war. Als die Familie Ginseng sammelte, das zarte Pflänzchen, das im Dämmerlicht der
Weitere Kostenlose Bücher