Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
»Denkt immer daran, wer ihr seid und was euch droht, solltet ihr eure Pflicht versäumen.«
Bevor ich überlegen konnte, warum Cesare diese Warnung für nötig hielt, ergriff er meine Hand, hob die Fackel hoch und zog mich mit sich.
33
Ich habe nicht geschrien. Bis zum heutigen Tag bin ich stolz darauf, obgleich mein Entsetzen in Wahrheit so groß war, dass ich, als ich den Mund aufriss, nur ein Quieksen zustande brachte.
Der gewaltige Haufen, der fast den gesamten Weg versperrte, bestand aus Knochen. Offenbar hatten die Wände der seitlichen Kammern dem Druck der Knochenmassen nachgegeben. Schenkelknochen, Armknochen, Schulterblätter, Rippen und Brustkörbe, die noch an der Wirbelsäule hingen und … Schädel. Abertausende von Knochen in allen Größen, heil oder zersplittert, aber eindeutig menschliche Überreste. Offenbar hatte Konstantin wirklich die alten Gräber zerstört.
Der Haufen der Gebeine reichte bis zur Decke empor. Der seitliche Spalt war nicht einmal einen halben Meter breit, sodass uns keine Wahl blieb, als uns seitlich hindurchzuquetschen. Die Knochen knirschten unter unseren Füßen, stachen uns in die Rippen und verhakten sich in unserer Kleidung, während wir uns unter Mühen Schritt für Schritt voranschoben.
Die Schädel waren am schlimmsten. Dieses ewige Lächeln
und die blinden Augen. Manche ragten aus dem Stapel heraus, sodass meine Nase im Vorbeigehen die Stelle streifte, wo einmal die Nase gewesen war. Gott vergib mir. Diese Knochen waren einst Menschen gewesen – und doch hätte ich mich am liebsten übergeben. Hinter mir hörte ich einen der Soldaten würgen und konnte ihm keinen Vorwurf machen. Es roch nicht nach Verwesung, dazu waren die Knochen viel zu alt. Aber zugleich verströmten die zerbröselnden Reste und Bruchstücke einen durchdringenden Geruch nach Tod und gemahnten uns eindringlich an unsere eigene Sterblichkeit.
Ich weiß, dass Menschen ihre Toten verbrennen. Mir erscheint das Verfahren sehr vernünftig, auch wenn die Lehre unserer Kirche es verbietet. Ich könnte mir vorstellen, verbrannt zu werden, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass ich tot bin, wenn mich die Flammen erreichen.
Ich hielt Cesares Hand fest umklammert, während er unbeirrt voranschritt. Ganz gleich, welche Ängste ihn auch quälten – er war der geborene Anführer, entschlossen und mutig, und würde vor seinen Soldaten niemals Schwäche zeigen. Es ist nur gerecht, wenn ich sage, dass er uns durch dieses entsetzliche Riesengrab geführt und sicher auf die andere Seite gebracht hat.
Kaum, dass wir wieder mehr Platz hatten, hielten wir inne und klopften unsere Kleider ab. Dabei hielt ich die Luft an, um nicht noch mehr vom Staub der Toten einzuatmen.
Cesare ließ uns einige Augenblicke Zeit.
»Lasst uns weitergehen«, forderte er uns schließlich auf und übernahm wieder die Führung.
Wir folgten ihm und fanden schnell weitere Beweise, dass wir nicht die Ersten in dieser Totenstadt unter der Basilika waren.
Man sollte Rom nicht eine gesetzlose Stadt nennen. Manchmal werden die Gesetze für alle erkennbar angewandt. Zeitweise genügte ein Wort gegen die Heilige Kirche, und schon endete man auf dem Scheiterhaufen. Doch wie so oft im Leben kommt es auf das richtige Gleichgewicht von Risiko und Gewinn an.
Es wiederholten sich die Versuche, die Lage der Allgemeinheit durch Steuern auf Güter zu verbessern, die den Römern teuer waren, wie luxuriöse Stoffe oder ausgesuchte Weine. Zeitweise wurde sogar Käse und einmal sogar Weizen besteuert, ein Versuch, der allerdings misslang.
Als Folge bemühte sich jeder Römer, einen tüchtigen Schmuggler zu finden. Da war ich keine Ausnahme. Allerdings habe ich mir nie Gedanken gemacht, wie die Schmuggler vorgehen. Natürlich bedurfte es verschwiegener Orte, um die Güter auf dem Weg zum Kunden zu lagern. Nach dem schauderhaften Wegstück entlang der Knochenwand befanden wir uns jetzt in einem Gang mit Kammern, die man sorgfältig von Schutt befreit und mit neuen eisernen Gittertoren versehen hatte. In der Dunkelheit erspähten wir eine Menge Kisten, Schachteln und Fässer, die auf wertvollen Inhalt schließen ließen.
»Diesen Ort müssen wir uns merken«, meinte Cesare mit einem anzüglichen Grinsen.
»Auch diese Leute müssen irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen.« Ich konnte nur hoffen, dass sich die Borgias beherrschten, wenn sie erst an die Macht gekommen waren.
Inzwischen bezweifelte ich, ob wir überhaupt noch eine Spur von
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