Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
halten müssen, statt darauf zu vertrauen, dass er uns unterlegen ist und auf jeden Fall untergeht. Als ich die Verantwortung für Borgias Wohlergehen übernahm, hatte ich Thukydides zwar noch nicht studiert, und doch warnte mich mein Instinkt, meine Gegner zu unterschätzen.
Morozzi war ein Verrückter, ein intelligenter Fanatiker. Außerdem war er ein Heuchler, der die Heilige Mutter Kirche sehr viel besser kannte, als ich das jemals hoffen konnte. Insbesondere im Vatikan kannte er sich bestens aus, wo der große Kampf zwischen Borgia und della Rovere ausgetragen wurde. Mir dagegen blieb kaum Zeit, mich mit den Gegebenheiten so gut wie möglich vertraut zu machen.
Mit Vittoro an meiner Seite konzentrierte ich mich auf die Kapelle, wo das päpstliche Konklave stattfinden würde. Der Name der Sixtinischen Kapelle ging auf Papst Sixtus IV. zurück, der damals den Bau befohlen hatte. Vor neun Jahren war die Kapelle geweiht worden und sollte nun zum ersten Mal als Ort des päpstlichen Konklaves dienen. Mir schien
sie dafür wie geschaffen. Der Bau war dem Tempel König Salomos in Jerusalem nachempfunden – eine schreckliche Ironie, dass sich ausgerechnet hier das Schicksal der Juden entscheiden sollte. Hinter der schlichten Fassade, die nur eine Reihe winziger Fenster unterhalb des Daches hatte, barg die Kapelle eine Fülle großartiger Kunstwerke. Der Zugang war ausschließlich über den Apostolischen Palast möglich, da sich die Türen im unteren Geschoss nur auf einen abgeschlossenen Innenhof öffneten. Die Anlage bot dem Papst größtmöglichen Schutz und unterstrich durch die räumliche Trennung der Kapelle von der großen Basilika, dass nur er dazu Zutritt hatte.
Jedes Mal, wenn ich die Kapelle besucht habe, hat sie mir den Atem verschlagen. Sagt über Sixtus, was Ihr wollt, aber er hatte die Gabe, den Künstlern seiner Zeit das Beste abzufordern und für seine Zwecke einzusetzen. Mein geliebter Botticelli ebenso wie Perugino und Ghirlandaio haben ihr Teil zu den außergewöhnlichen Fresken beigetragen, die die Wände schmücken. Unter einem dunkelblauen Himmel mit goldenen Sternen belegen Moses, Aaron, Christus, der heilige Petrus und eine Menge anderer Gestalten die ungebrochene Abstammung der päpstlichen Autorität, die darauf basiert, dass Gott Moses die Zehn Gebote überreicht und Christus Petrus die Himmelsschlüssel anvertraut. Der Konstantinbogen erinnert uns daran, dass der Papst neben der obersten geistigen Macht auch die weltliche besitzt.
Ich blieb vor der Stelle stehen, die mich immer am meisten fasziniert hat, wenn ich zusammen mit meinem Vater die Kapelle besucht habe. Seine Stellung in Borgias Haushalt bescherte uns unter anderem auch das Privileg, an Orte
zu gelangen, die für die Öffentlichkeit verboten waren. Ich musste an ihn denken, als ich jetzt wieder vor den Fresken stand, die Korachs Bestrafung darstellen, der die Autorität von Moses und Aaron als von Gott bestimmte Anführer in Frage stellte.
»Eine böse Sache«, bemerkte Vittoro, der das Fresko mit den Augen eines Soldaten betrachtete. Nach der versuchten Steinigung von Moses, die Aaron verhinderte, trifft der Zorn Gottes Korach und seine Gefolgsleute, indem sich der Erdboden öffnet und sie lebendig verschlingt. Damit auch jeder die Botschaft versteht, trägt Aaron ein Gewand in päpstlichem Rot, und eine Inschrift warnt vor der Gefahr, wenn ein Mensch sich dieses Amt anmaßt, ohne dass es ihm von Gott verliehen wurde.
»Das stimmt, und die Botschaft ist überdeutlich. Doch wie viele, glaubt Ihr, werden sie beherzigen?«
Ich meinte die Kardinäle, die sich in Kürze hier in der Kapelle versammeln würden, wenn Gott durch sie seinen neuen Stellvertreter wählte. Es waren zwanzig oder mehr Kardinäle, doch noch war fraglich, wie viele überhaupt zur rechten Zeit in Rom eintrafen. Die meisten waren weltliche Machtmenschen wie Borgia und della Rovere. Nur eine Handvoll hegte noch eine geistliche Überzeugung, zum großen Teil ältere Männer, die in dem Verfahren kaum eine Rolle spielten.
»Wie viele sind überhaupt noch gläubig?«, fragte Vittoro zurück. »Höchstens auf dem Totenbett, wenn sie ihrem Schöpfer gegenüberstehen. Bis dahin benehmen sie sich wie heidnische Hyänen, die um das Aas streiten.«
»Aber trotzdem unterstützt Ihr Borgia«, erinnerte ich ihn.
Der Hauptmann zuckte die Achseln.
»Ein Teufel, den man kennt, ist immer besser.« Er drehte sich zu der Wand um, auf der Botticelli die Versuchung Christi so
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