Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Kontakt mit der Außenwelt vonstattengehen sollte,
was natürlich gegen alle Vorschriften war. Für den Moment wollte ich mir nur die Örtlichkeiten genau einprägen.
Plötzlich bezog eine Ehrengarde am Eingang Stellung, was nur bedeuten konnte, dass Innozenz’ Sarg in die Kapelle gebracht und vor dem Altar aufgebahrt wurde. Da ich nur ungern dabei sein wollte, musste ich mir schnell den nötigen Überblick verschaffen. Ich stand gerade mitten in der Kapelle und sah zur Decke empor, die mir im Vergleich zu den Wänden fast schlicht erschien, als ich plötzlich eine Bewegung auf der Galerie wahrnahm. Im rückwärtigen Teil der Kapelle waren im oberen Geschoss die Garderoben der Gardisten. Dort befand sich auch der Zugang zu der schmalen Galerie, die um den gesamten Innenraum der Kapelle herumführte und einen ausgezeichneten Blick bot.
Oben stand ein Mann und sah auf uns hinunter. Ich erkannte ihn sofort. Im Licht, das durch die hohen Fenster fiel, schien Morozzi in seiner schwarzen Soutane wie in einem leuchtenden himmlischen Strahlenkranz zu schweben.
Im nächsten Moment bewegte er sich, und die Erscheinung verschwand. Ohne Strahlenkranz war er nur noch der Morozzi, den ich kannte. Ein unglaublich gut aussehender Mann, der vom Bösen umgeben war. Unsere Blicke trafen sich, und im selben Augenblick lächelte er.
»Bastard«, murmelte Vittoro. Instinktiv wanderte seine Hand zur Waffe.
Ich bemerkte es aus den Augenwinkeln, beugte mich hinüber und legte meine Hand beruhigend auf die seine. Dass der Priester uns so ungeniert herausforderte, bestätigte nur meinen Verdacht, dass er offenbar einen neuen Beschützer
gefunden hatte. Dadurch wurde er für mich unantastbar. Zumindest so lange, bis der Kardinal die Unterstützung der übrigen Kardinäle nicht mehr benötigte. Erst dann konnte ich handeln.
»Zu gegebener Zeit«, flüsterte ich. »Jetzt noch nicht.«
Morozzi sah meine Geste, und sein Lächeln vertiefte sich. Er ging sogar so weit, kurz die Hand zu heben und spöttisch zu winken, bevor er im hinteren Teil der Kapelle verschwand.
Ich blieb allein zurück, allein neben Innozenz’ Bahre. Welcher noch größeren Gefahr musste ich meine Seele aussetzen, damit Gottes Wahl auf Rodrigo Borgia fiel?
23
Einen vollen Tag lang hastete ich zwischen dem Palazzo Borgia und dem Palazzo Orsini hin und her und tat mein Möglichstes, um die Sicherheit der beiden Haushalte zu gewährleisten. Donna Adriana war von ihrem Ausflug aufs Land heimgekehrt und empfing mich im Vergleich zu ihren früheren Gepflogenheiten mit ungewohnter Wärme. Ich spürte einen neuen Respekt, der sich meiner Meinung nach auf die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit gründete und auf die Rolle, die ich dabei gespielt hatte. Allerdings hätte sie nie den Tod des Papstes erwähnt. Dafür war sie viel zu geschickt. Immerhin bot sie mir statt des üblichen Hockers einen Stuhl an und machte mir sogar ein Kompliment über mein einfaches graues Kleid aus Serge, das ich nur aus Bequemlichkeit für diesen arbeitsreichen Tag gewählt hatte.
Lucrezia dagegen war nicht so zurückhaltend. Sie suchte und fand mich in einer der Vorratskammern, wo ich die in letzter Zeit gelieferten Flaschen, Körbe, Pakete und Fässer durchsah und siegelte, damit sich keiner mehr daran zu schaffen machen konnte.
»Ist es wahr?«, fragte sie atemlos. »Ist es wahr, was man sich erzählt?«
Ich sah von dem Geschäftsbuch auf, das Renaldo mir gegeben hatte. Außerdem hatte er mir erklärt, wie ich es handhaben musste, wofür ich ihm sehr dankbar war. Seit dem Zwischenfall in seinem Büro – ja, so sah ich das jedenfalls – , war er mir gegenüber deutlich höflicher. Da mir Ordnung und Genauigkeit über alles gingen und Renaldo darin ein Meister war, hegte ich die vorsichtige Hoffnung auf eine gute zukünftige Zusammenarbeit.
»Keine Ahnung«, antwortete ich. »Was erzählt man sich denn?«
»Dass Ihr die größte und wagemutigste Giftkundige aller Zeiten seid. Ihr habt gewagt, den Papst zu töten und es so aussehen zu lassen, als sei er eines natürlichen Todes gestorben. «
Ich schnappte nach Luft und ließ vor Überraschung das Buch mit den Aufzeichnungen zu Boden fallen, wo es liegen blieb, weil ich mich nicht vom Fleck rühren konnte.
» Das sagen die Leute? Wirklich? Auf der Straße?« Sollte das wahr sein, so war es verheerend. Borgias ganze Hoffnung auf den Papstthron bestand darin, dass er ein papabile war. Hatte ich das alles umsonst aufs Spiel gesetzt?
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