Die Tochter des Kardinals
liegt auch nichts daran, ihn tot zu sehen«, gab Giulia zurück.
»Was bewegt Euch dann, Schwester?«, fragte Geller weiter.
Giulia sah an ihm vorbei. Grenzenlose Traurigkeit überfiel sie. Alles, wonach ihr Herz verlangte, war, noch einmal mit dem Mann zu sprechen, der ihr Vater war. Sie hatte noch so viele Fragen, und sie erwartete Antworten. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. »Später, Francesco«, wisperte sie. »Später.«
Geller nickte stumm. Er hob die Hand, um den Befehl zum Aufbruch zu geben. Augenblicke darauf setzten Giulia und die Gardisten die Jagd durch Rom fort.
Schließlich erreichten sie die Via Appia. Die breite Straße zog sich gen Süden durch die Stadt. Giulia kannte den Weg zu den Katakomben gut, denn sie war oft mit Fulvia hier gewesen, um den Aussätzigen Nahrung und Kleidung in ihre enge, finstere Behausung zu bringen.
Schon von Weitem erkannte sie die vermummte Gestalt, die vor dem Eingang zu den Katakomben stand. Der leuchtend rote Schal um den Kopf war unverkennbar. Es war Antonio Brosio, der dort Wache hielt. Er schien Giulia zu erkennen, denn er kam ihnen entgegen.
Auf halbem Wege trafen sie einander. »Antonio!«, rief Giulia und winkte.
»Schwester Giulia«, sagte Antonio, von dessen Gesicht allein die Augen zu sehen waren. »Wir haben Euch vermisst.« Misstrauisch beäugte er die Gardisten.
»Sie sind nicht hier, um Euch Schaden zuzufügen«, sagte Giulia. »Wir sind auf der Suche nach Kardinal Carafa. Habt Ihr ihn gesehen, Antonio?«
»Carafa, sagt Ihr?«, fragte Antonio. »Was hat Seine ehrwürdige Eminenz denn verbrochen, dass die halbe Garde nach ihm sucht, Schwester?«
»Die ganze Garde sucht ihn«, warf Geller ungeduldig ein. »Nun sagt endlich, ob Ihr etwas wisst!«
Giulia hob mahnend die Hand gegen Geller. »Lieber Antonio«, sagte sie sanft, »der Kardinal hat ein schweres Vergehen begangen. Es ist wichtig, dass wir ihn finden. Wir vermuten, dass er sich in den Katakomben versteckt.«
»In den Katakomben?«, fragte Antonio. »Die sind endlos. Doch wenn einer etwas darüber weiß, dann Giannozzo.«
»Bitte, führe uns zu ihm«, bat Giulia.
»Folgt mir«, sagte Antonio mit einem vorwurfsvollen Blick zu Geller.
Sie stiegen die schmalen Stufen zu den Katakomben hinab. Von einem Augenblick zum anderen empfing sie kühle Dunkelheit. Es roch moderig. Fackeln an den Wänden zeigten ihnen den Weg. Es ging kreuz und quer, und jemand, der sich in diesem Gewirr von Gängen, kleinen Hallen und Grüften nicht auskannte, musste rettungslos verloren sein.
Im gespenstischen Schattenwurf der Fackeln lagen die Gräbernischen im braunen Tuffgestein. Einige waren bunt ausgemalt mit frühchristlichen Bildern. An den hohen gewölbten Decken prangten Bilder von Petrus und dem guten Hirten. Einige der Malereien erzählten die Geschichte von Jonas oder der wundersamen Vermehrung der Fische und Brote. Da, wo die Gänge sich gabelten, konnten sie hier und da die vier Ebenen sehen, die die frühen Christen in das Vulkangestein geschlagen hatten. Auf uralten Altären standen noch immer hölzerne Kreuze. Immer wieder stieß die Gruppe auf Aussätzige, die sich durch die engen Gänge an ihnen vorbeidrängten.
Unter Antonios Führung gelangten sie schließlich in eine geräumige Kammer. Ein Dutzend Aussätzige saßen hier auf Kisten oder lagen auf dem Boden und schliefen. An der Rückwand, auf der größten der Kisten, thronte Giannozzo, der König der Aussätzigen. Er saß auf einem schmutzigen Tierfell. Als er Giulia sah, stand er auf und schritt ihr entgegen. Die Anwesenheit der Gardisten schien ihn weniger zu stören als Antonio zuvor.
»Es freut mich, Euch zu sehen, Giannozzo«, begrüßte ihn Giulia.
Giannozzo verneigte sich tief. »Die Freude liegt ganz bei mir, Schwester«, sagte er durch das Tuch vor seinem Gesicht hindurch, das seine Stimme dämpfte, als stünde er hinter einem dicken Vorhang. »Was führt Euch und die Garde hier herunter?«
Giulia erklärte es ihm in wenigen Worten.
»Carafa auf der Flucht?«, fragte Giannozzo. Er klatschte in die Hände. »Ich danke Gott, dass er mich dies erleben lässt.« Hastig schlug er ein Kreuz.
»Wisst Ihr etwas über seinen Verbleib, guter Giannozzo?«, fragte Giulia.
»Noch nicht«, antwortete Giannozzo. »Doch wenn er hier unten ist, werden wir es bald erfahren.« Er rief einen jungen Mann von kräftiger Statur zu sich. »Das ist Pietro. Der schnellste Mann zwischen Rom und Paris. Er soll unsere Freunde in den anderen Teilen
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