Die Tochter des Ketzers
christlichen Gemeinden auszuforschen. Aber nun bleibt ihm nichts anderes übrig.«
»Pah!«, stieß ich barsch aus. »Pah! Er wird Julia Aurelia gewiss zu schützen wissen!«
»Das kann er nicht«, verneinte Thaïs. »Das kann er nicht, Krëusa. Einst stand es dem Statthalter zu, über die Christen zu richten oder aber sie zu begnadigen. Doch nun muss er sich dem Kaiser fügen, der in allen Christen seine persönlichen Feinde sieht. Er kann ihren Tod hinauszögern, er kann versuchen, sie durch strenge Haft zu beugen. Aber ... aber am Ende gilt doch: Wenn sie nicht opfert, wird sie sterben.«
Die Aufregung in ihrer Stimme hatte sich gelegt. Fast nüchtern klang sie jetzt, als wäre ihr – wenngleich verspätet – in den
Sinn gekommen, dass es um Julias Leben ging, nicht um ihres, und jenes bereits verloren war, sich echte Trauer wohl nicht lohnte.
Es wurde uns kein Frieden auf dieser Welt versprochen. Nur das Schwert, das sich gegen uns richtet, uns zu fällen sucht – das hatte Julia gesagt. Und auch, dass sie bereit wäre zu sterben. Dass die Welt ja ohnehin ihrem Ende entgegenginge. Sie sei längst alt geworden, stehe nicht mehr in ihrer früheren Kraft ...
»Gaetanus kann das nicht zulassen«, behauptete ich erneut.
»Gaetanus hat bislang offenbar geglaubt, es würde hier auf Corsica keine Christen geben und dass er davon wüsste, wenn es anders wäre. Es machte folglich keinen Sinn, die Bevölkerung zu prüfen. Ach Krëusa, warum hast du nur ...«
Ich wusste doch nichts davon, wollte ich mich rechtfertigen, wusste nichts vom Ausmaß meines Verrats.
Aber ich sprach die Worte nicht mehr aus. Noch während wir zusammenstanden, waren plötzlich aus dem Atrium die schweren Schritte eines Besuchers zu hören, und sie wurden alsbald von dessen jämmerlichem Geheule begleitet.
Kapitel XV.
Malta, Frühsommer 1284
Nicht noch einmal. Bitte. Nicht noch einmal.
Niemand hörte auf ihr stummes Flehen; niemandes Erbarmen erwachte ob ihres verzweifelten Blicks. Rasch hatten die Männer Ray und Caterina umstellt, es ihnen unmöglich gemacht fortzulaufen. Ray fuhr herum, schien noch nach einer Lücke zu suchen, doch da war er schon gepackt und wurde von zweien festgehalten. Sie sah, dass er zu kämpfen versuchte, verzweifelt gegen die übermächtigen Gestalten rang, doch es war hoffnungslos und brachte ihm nur einen schmerzhaften Faustschlag in den Bauch ein. Ächzend krümmte er sich.
Caterina hingegen war zu keiner Regung fähig, als man sie zu dem Mann mit den Warzen schleifte. Ihre Füße waren zu taub, als dass sie selbst hätte gehen können. Eigentlich war alles taub; selbst das Gefühl der Kälte schwand aus ihrem Leib. Doch allein die Erinnerung an vergangene Schmerzen schürte eine Furcht, die sie nicht minder verzweifelt stöhnen ließ als Ray.
Immer noch hielt der dicke Mann seine Arme über dem Leib gekreuzt. Nur einen Schritt trat er vor, gemächlich, ohne Eile.
»Sieh an, sieh an!«, wiederholte er knurrend. »Dem Meer entstiegen wie eine Seejungfrau! Oder vielleicht doch von einem Schiff geflohen?«
Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen, und auch diese Regung fiel unendlich langsam aus. Offenbar gab es nichts im Leben dieses Mannes, was ihn zur Eile drängte, hatte er doch die Erfahrung gemacht, dass Hast sich nicht lohnte. Vielleicht konnte er es sich auch schlichtweg leisten, für jede Geste mehr Zeit zu verschwenden als die übrigen Menschen. Weil diese Zeit ihm nichts wert war. Oder er sie nicht dafür verwenden musste, mühsam zu überleben. Sowohl sein wohlgenährter Leib als auch seine Kleidung deuteten auf gewissen Wohlstand, die Sicherheit, mit der er seine Männer befehligte, auf Macht, wenngleich Caterina nicht wusste, von welchem Amt diese genährt wurde.
Es war ihr gleich. Jeder Gedanke verrutschte, als er unendlich langsam seine Hand hob, nicht minder von Warzen überwuchert als seine bleiche Nase, er damit zu ihrem Gesicht fuhr, kurz davor verharrte, als wüsste er, dass dieses Zögern sie am meisten quälte. Und schließlich streichelte er über ihre Wangen, über ihren Hals, fuhr tiefer. Es bedurfte wenig, um ihre nassen Kleider aufzureißen. Schon spürte sie, wie kalte Nachtluft ihre Brust traf.
Nicht noch einmal. Bitte. Kein zweites Mal. Das überlebe ich nicht.
Sie konnte es nicht aussprechen, sie konnte nicht flehen. Ray tat es für sie.
»Lasst sie in Ruhe, das dürft ihr nicht tun, sie ist ...«
Ein zweiter Faustschlag traf ihn in den Leib, und er krümmte sich noch
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