Die Tochter des Ketzers
unausgesprochenen Befehl Gaspares folgend – die Gefesselten an den Mast banden, fing er wieder zu schreien an.
»He, Gaspare! Nicht sie! Es war meine Schuld, nicht ihre! Ich habe sie zur Flucht gezwungen, also lass mich allein die Verantwortung dafür tragen!«
In jeder anderen Lage wäre Caterina erstaunt gewesen, dass er so viel Anstand hatte, sich für sie einzusetzen, hätte ihn dafür vielleicht sogar bewundert. Wenig hatte dieser Mann hier mit dem selbstsüchtigen Ray gemein, den sie kannte. Doch in ihrer Not vermochte sie keinen Gedanken an sein Handeln zu verschwenden. Gequält schrie sie auf, als man sie an den Armen hochriss und sie so weit droben festband, dass ihre Fußspitzen kaum den rauen Boden berührten.
»He! Lasst sie in Ruhe!«, rief er wieder.
Verzweifelt blickte Ray sich um, aber von Gaspare war nichts zu sehen, nicht einmal ein Schatten, nur Akil erschien, wenngleich er mit ausreichendem Abstand stehen blieb.
»Akil, so hilf uns doch!«, rief Ray in seine Richtung. »Hilf zumindest ... ihr!«
Caterina japste. Nicht nur die gestreckte Haltung presste ihr alle Luft aus dem Leib, sondern auch neuerliche Kälteschauder. Ihre Kleidung war klamm, und der Nachtwind ließ sie unangenehm an der Haut festkleben – freilich nicht überall. Die eine Brust, eben noch gierig von Ramón befühlt, war nackt. Vorhin hatte sie Ray verfluchen wollen für seine unsinnige Flucht – doch nun, da sie so hilflos und gebunden stand, schmeckte auch sie jenen unbändigen Freiheitsdrang, der ihn angetrieben hatte und der jegliche vernünftige Überlegung außer Kraft gesetzt haben musste, seine Panik, die ihn wohl bei dem Gedanken befallen hatte, noch länger ein Gefangener zu bleiben. Sie wusste nicht, ob sie ihm verzieh – aber kurz konnte sie zumindest verstehen, warum er es nicht länger auf dem Schiff ausgehalten hatte.
»Bitte ...«, stammelte sie.
»Nun hilf ihr doch, Akil!«, horte sie Ray neben sich ächzen, dem ihre Notlage nicht entgangen war.
Akil blickte sich mehrmals um, dann wagte er, näher zu treten. Er sagte nichts, schüttelte nur schicksalsergeben den Kopf, ohne das stolze, feine Lächeln zu zeigen, das ihn auszeichnete. Die einzige Hilfe, zu der er sich überwinden mochte, galt Caterina. Mit gesenktem Kopf trat er zu ihr, um ihr zerfleddertes Kleid über ihre Blöße zu ziehen.
»Hab Dank«, murmelte sie kraftlos.
Er nickte, senkte mit einem Mal verlegen den Kopf und trat rasch zurück, nun freilich nicht länger schweigend.
»Ach Caterina«, seufzte er. »Wusstest du nicht, wie gefährlich es ist, was ihr da tatet? Eben noch war diese Insel in Franzosenhand. Wer weiß, in welchen Höhlen sie noch verkrochen hocken, um Menschen wie Gaspare das Leben schwer zu machen. Stell dir nur vor, du wärst in deren Hände gefallen!«
Caterina konnte sich schwer vorstellen, dass es noch Schrecklicheres hätte geben können, als jenem Ramón ausgeliefert zu sein. Freilich – er hatte am Ende nachgegeben, hatte sie Gaspare überlassen. Allerdings stand noch nicht fest, ob das sonderlich Gutes verhieß, schien jener doch ob ihres Fluchtversuchs derart aufgebracht, dass er sie nicht einmal zur Rede stellen wollte. Ihre Hände begannen zu schmerzen, sie stöhnte vor Qualen.
Wieder zuckte Akil ergeben die Schultern.
»Caterina ... bitte«, hörte sie Ray neben sich sprechen. »Ich wollte dich nicht in Gefahr bringen, das musst du mir glauben ... Ich ... ich wollte dich retten.«
Sie verzichtete auf die verächtliche Bemerkung, die ihr auf der Zunge lag. Vielleicht, weil das Reden zu mühselig war, vielleicht, weil sie ihm glaubte. Schweigend nickte sie. Dann begann eine lange Nacht.
Als das Morgenlicht kam, dunstig und feucht und später ein paar zerfledderte Sonnenstrahlen, die Kälte nicht vertreibend, sondern nur dann und wann dareinstechend, so wusste Caterina nicht mehr, was am unerträglichsten war: die tauben Hände, der schreckliche Durst, die schmerzende Brust, die – in gedehntem Zustand – nie ausreichend Atem schöpfen konnte.
Sie verlor den Blick für die Umgebung, wusste später nicht mehr, wie lange Akil in ihrer Nähe ausgeharrt hatte, und auch nicht, wann Rays Murren und Klagen, durchsetzt von Flüchen wider Gaspare und an sie gerichtete Bitten um Vergebung, erloschen waren.
Auch bemerkte sie erst verspätet, dass Gaspare wieder aufs Deck gekommen war, käsig bleich wie gestern, nur seine Lippen waren röter. Er starrte anfangs gleichgültig an ihnen vorbei, teilte Befehle
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