Die Tochter des Ketzers
Überzeugungen guttat. Sie hatte sie nicht stellen wollen, doch nun waren sie einfach da, die Fragen: War es ein Glaube überhaupt wert, dafür zu sterben? War es richtig, einen Menschen wegen seines Bekenntnisses zu töten? War der Tod dieses Mannes nicht ebenso sinnlos wie der ihres Vaters? Und war es vielleicht auch sinnlos, dass ihr sämtliches Trachten darauf hinauslief, den Schatz ihrer Familie ...
Überzeugt schüttelte sie den Kopf und setzte den verstörenden Gedanken sämtlichen Willen entgegen, sie zum Schweigen zu bringen.
Trotzig kniff sie den Mund zusammen – so wie Ray es tat. Erst nach Stunden hielt er es offenbar nicht aus, mit seinen Gedanken allein zu sein, und beendete das unangenehme Schweigen, das über ihnen hing wie eine graue Wolke.
»Eigentlich war dieser Mann ein Dummkopf«, brach es aus ihm hervor, eher missmutig als schockiert, als nehme er dem Ketzer zwar nicht seine Sünden übel, sehr wohl aber, dass dessen Hinrichtung seinen lauen Lebensfluss gestört hatte. »Was musste er seinen Glauben auch hier ausleben? Die meisten seiner Brut haben sich ins Hochland von Foix oder nach Pamier zurückgezogen. Dort sind sie halbwegs sicher.«
Caterina sehwieg trotzig. Sie wollte nicht mit Fragen bekunden, dass sie ihm sein rüdes Verhalten verziehen hatte.
»Die Grafschaft von Foix ist weitgehend unabhängig geblieben«, fuhr er da schon nachdenklich fort. »Sie sind zwar franzosentreu, aber Graf Roger Bernard, so heißt’s, duldet die Katharer in seinem Gebiet. Bertrandus de Taxio ist dort ein angesehener Ritter – und zugleich einer der Credentes, der Gläubigen der katharischen Lehre. Warum, frage ich mich, gehen sie nicht dorthin? Warum wagen sie sich in die Nähe von Carcassonne?«
Jetzt vermochte sie es nicht länger, den Mund zu halten. »Du tust grade so, als wäre es richtig, sich der Gerechtigkeit zu entziehen!«, rief sie entschlossen. »In Wahrheit verdienen sie’s doch zu sterben.«
»So wie’s dein Vater verdient hat?«
»Mein Vater verachtete die Ketzerei, man hat ihn zu Unrecht ...«
»Ha«, unterbrach er sie, und der alte spöttische Ray kehrte zurück. »Ha! Dein Vater mag sich zwar alle Mühe gegeben haben, den rechtgläubigen Katholiken zu mimen, doch im Grunde seines Herzens war er, nach allem was du von ihm erzähltest, den Katharern sehr ähnlich.«
Es war dies das Empörendste, was sie jemals aus seinem Mund vernommen hatte. »Das ist nicht wahr!«, rief sie zornig.
Er schüttelte nur den Kopf. »Hast du dir schon einmal überlegt, warum er dich und deine Mutter derart von der Welt abge- schottet hat? Was weißt du eigentlich von deinem Vater, Caterina , was von seiner Vergangenheit, und warum hat er alles so sehr gescheut, was nach den Katharern riecht?«
»Weil jene Sünder sind!«, entgegnete sie rasch, all das wiederholend, was sie von ihnen wusste. »Sie glauben nicht an die Sakramente, und sie glauben nicht, dass Jesus Christus wirklich Mensch war und am Kreuz gestorben ist. Sie glauben, dass er nur ein Engel war, so wie die Jungfrau Maria, und dass ...«
»Vor allem glauben sie«, fiel er ihr ins Wort, »dass die Welt durch und durch schlecht ist, ein Werk des Teufels, welcher einst die Engel zu Fall brachte und ihre Seele in den menschlichen Leib einsperrte. Aber dachte das dein Vater nicht auch – dass die Welt schlecht ist? Warum sonst hat er dich eingeschlossen? Denn das hat er doch! War er wirklich ein Vater oder vielmehr ein Kerkermeister?«
»Du bist ein gemeiner, liederlicher, sittenloser ...«
»Das mag alles sein, aber hast du dir jemals überlegt, wer dein Vater war? Hast du ihn tatsächlich gekannt?«
»Oh, du gemeiner ...«, setzte sie erneut an.
Wieder fiel er ihr ins Wort und tat noch mehr als das: Stellte sich vor sie, packte sie an der Schulter, zwang sie, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie wünschte, Spott darin aufblitzen zu sehen, denn jener hätte seine Worte entkräftet. Doch er blickte ernst, todernst – ebenso wie vorhin, da man den Mann zum Scheiterhaufen gekarrt hatte.
»Du weißt es nicht«, stellte er ruhig fest. »Man hat es dir nie gesagt, nicht wahr?«
Sein Blick deuchte sie jäh stechend, sie versuchte ihm auszuweichen, wand sich in Rays Griff.
»Was?«, schrie sie schließlich zornig. »Was hat man mir nie gesagt?«
Ray schwieg einen Augenblick, schien nachzudenken, schüttelte dann – fast bedauernd – den Kopf.
»Es tut mir leid, Caterina«, setzte er an, »aber dein Vater ...«
Wieder machte er eine lange
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