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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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Pause. Dann sagte er, aus dessen Mund sie schon so viele unflätige Worte vernommen hatte, das Gemeinste und Bösartigste, was ihr jemals zu Ohren gekommen war.
Corsica, 251 n.Chr.
    Mein Leben kreiste niemals um mich selbst Ich war gewohnt zu beobachten. Und so wie ich Gaetanus’ Tagesablauf verfolgte – wusste, wann er Briefe nach Rom schrieb und empfing, wann er nach Mariana zu den Truppen ritt oder die Ausbesserung der großen Straße kontrollierte, die den Norden mit dem Süden der Insel verband, wann er Pläne gegen die Piraten ausheckte, die manchmal Küstendörfer überfielen, oder wann er Beschwerden entgegennahm, weil die Wasserleitungen nicht funktionieren wollten –, ja, so wie ich wusste, was er trieb, begann ich nun Julia Aurelias Leben zu erforschen. Ich wollte nicht hinnehmen, dass sie sich so rätselhaft gab. Ich wollte wissen, wer sie war und was sie den Tag lang machte.
    Es war dies nicht sonderlich schwierig. Aleria ist verglichen mit Rom nur ein Dorf. Gewiss, es hat ein Forum, einen Triumphbogen, einige Tempel, ein Aquädukt und Thermen –Letztere nicht lange vor der Zeit erbaut, da Gaetanus Proconsul wurde –, doch die Zahl an Einwohnern, die höheren Standes waren, war überschaubar, sodass es leicht war, ihr Leben zu belauern.
    Aus Freundschaft allein hätte sie mir wohl nie geholfen, aber ob ihrer Neugierde war die Sklavin Thaïs eine Verbündete für mich. Es wurde zwischen uns Gewohnheit, uns über Julia Aurelia auszutauschen, der anderen jeweils mitzuteilen, was man selbst gesehen und gehört hatte. Und so wurde aus vielen kleinen Steinchen ein Mosaik, nicht sonderlich farbenprächtig und doch brauchbar, die Konturen der Frau erkennbarer zu machen.
    Da war Eusebius, ihr Vater, der Kaufmann aus Carthago, der seltsamerweise nun hier auf Corsica lebte, obgleich es doch lange nicht so kostbare Waren bot als jene, mit denen er zu handeln gewohnt sein musste. Rasch hatte ich herausgefunden, dass er eine Villa besaß, die nicht weit vom Hafen lag. Julias Mutter lebte nicht mehr; offenbar gab es einen jüngeren Bruder, Aurelius. Es hieß, dass ihn kaum jemand vor Augen bekommen habe, das Kind lebe zurückgezogen, weil es ein lebloses Beinchen hätte, das es hinkend hinter sich herschleifte. Dass Julia – so wie am ersten Tage, da ich sie sah – armseligen Kreaturen in irgendeiner Weise half, war offenbar Gewohnheit. Einmal beobachtete ich sie, wie sie einschritt, als ein Sklave geschlagen wurde. Ein andermal verteilte sie Kleider an arme Kinder, die in Fetzen herumliefen. Dann wiederum bezahlte sie einen Medicus dafür, dass er die Wunde eines Bettlers ansah, die jener sich in einem Kampf mit seinesgleichen zugezogen hatte. Selten hingegen war sie dort zu treffen, wo sich Frauen ihres Standes und ihres Alters ansonsten versammelten – zum Beispiel in den Bädern, wo sie sich ausruhten und reinigten und wo sie Klatsch verbreiteten.
    Freilich: In solch schlichtem, verwaschenem Gewande wie damals am Hafen wagte Eusebius sie niemals ins Haus des Gaetanus zu bringen. Zwar trug sie stets dieselbe Tunika, doch jene war sauber weiß. Wann immer ich hier auf sie traf, suchte ich ihr so geschickt auszuweichen, dass wir nie alleine waren. Doch obwohl ich den Blick vor ihr gesenkt hielt, entging mir wenig von dem, was sie tat. Und eben das war bei einem dieser Mahle verstörender als sonst.
    Sie schien gelangweilt zu sitzen, sie beteiligte sich nicht am Gespräch, sie nippte kaum am Kelch. Nur dann, als sie sich unbemerkt fühlte, da tat sie etwas Merkwürdiges.
    Ich folgte ihr ins Freie, wollte wissen, was sie vorhatte. Noch ehe das Mahl beendet war, hatte sie den Raum verlassen und offenbar nicht wieder vor zurückzukehren. Kaum einer mochte sie vermissen, und vielleicht war ihr Vater von der Tochter gewohnt, dass sie wortlos verschwand – und doch hatte ich noch nie erlebt, dass einer, der Gaetanus‘ Gast war, ohne Abschied und vor dem Ende einfach ging. Ich empörte mich darüber. Auch wenn’s ihm gleich sein mochte, es war nicht recht, Gaetanus derart zu beleidigen.
    »Sag ... sag, dass Julia mich brauchte« raunte ich Thaïs zu.
    »Du willst ihr nachgehen?«
    »Stell dir vor«, tuschelte ich, »sie hat zwei Stücke Brot an sich genommen, in ihre Serviette gewickelt und unter ihrer Palla verschwinden lassen.«
    Thaïs riss die Augen auf, wohl nicht nur aus Überraschung, sondern auch aus Neid. Thaïs verzehrte sich nach dem feinen Panis siligneus, das an der Tafel des Herrn gereicht wurde und

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