Die Tochter des Ketzers
flaumig im Mund zerging (wohingegen wir an schmutzig-dunklem Brot mühsam kauen mussten oder an der Puls, dem morgendlichen Dinkelbrei).
»Ich kann mir nicht denken, dass es an der Tafel von Euse-bius nicht genügend zu essen gibt«, murmelte sie verdutzt.
»Und ich kann mir nicht denken, dass sie’s selber essen will, so mager, wie sie ist!«
Julia drehte sich nur ein einziges Mal um, nachdem sie den Palast des Proconsuls verlassen hatte, zu halbherzig, um mich zu bemerken. Sie trat zu den Sänftenträgern ihres Vaters, die im Schatten eines Olivenbaumes warteten, sprach kurz auf sie ein, bis jene widerstrebend nickten. Offenbar hatte sie ihnen gesagt, dass sie ihrer Dienste nicht bedurfte. Denn sie ging zu Fuß wei- ter, zielsicher und gehetzten Schrittes. Ich musste zusehen, dass ich ihr nachkam.
Dann plötzlich war sie verschwunden. Ich rannte die Straße auf und ab, doch sie schien nicht auf jener weitergegangen zu sein, sondern eines der Häuser betreten zu haben – keine herrschaftliche Villa, sondern eines jener mehrstöckigen, einfachen Mietshäuser, wie ich sie auch aus Rom kannte.
Ich presste mich an eine Wand, suchte durch die Ritzen der Holzbalken etwas zu erkennen, fühlte mich unbehaglich. Eben noch hatte ich sie bei etwas Unbotmäßigem beobachtet – nun hatte ich Angst, dass ich selbst in jedem Augenblick ertappt werden könnte, wie ich in fremde Räume zu spähen versuchte. Ob’s überhaupt das richtige Haus war, das ich da belauerte?
Die Spalte war zu schmal, um mehr zu erkennen als Schatten. Doch Stimmen – zumindest Stimmen hörte ich jetzt, die eines alten Mannes, gefolgt von der heftigeren eines jungen, und dann, dann war es Julia Aurelia, die sprach.
»Mein Vater versucht die Freundschaft des Felix Gaetanus zu erringen. Jener scheint ein einsamer Mann zu sein – und traurig.«
Mir stockte das Herz, die Kehle wurde mir ganz eng vor lauter Zorn. Wie konnte sie über Gaetanus ein Urteil sprechen? Vor allem eines, auf das ich selbst, die ich ihn kannte wie keine Zweite, nicht teilte. Erstarrt kam er mir stets vor – aber traurig?
»Ist es wirklich klug ...«, setzte einer an.
»Glaubt mir«, unterbrach Julia ihn herrisch, »ich wünschte, ich könnte sein Haus meiden. Es ist mir unerträglich. Und doch erfahren wir nur auf diese Weise, was Decius plant.«
»Ich glaube nicht, dass es dazu kommt ...«, erwiderte der andere, und ich wusste weder, wen er meinte, den Kaiser oder Gaetanus, noch, wozu es kommen könnte.
»Und wenn es so wäre!«, hörte ich Julia leichtfertig ausrufen. »Ich bin allzeit bereit! Wir wissen: Die Stunde mag kommen wie ein Dieb in der Nacht, und ...«
Immer rätselhafter wurde das Gerede. Ich konnte mir keinen Reim daraufmachen – und hatte auch keine Zeit mehr dazu.
Denn just, als ich mein Ohr noch dichter an die Ritze presste, um deutlicher zu verstehen, da fühlte ich, wie eine fremde Hand mich packte, fortriss, mich anherrschte: »Was hast du hier zu suchen, Mädchen?«
Kapitel VII.
Languedoc, Frühling 1284
Caterina konnte nicht glauben, dass Ray so etwas zu ihr sagte. Mochte er verderbt und skrupellos sein – unmöglich war’s, dass er das Gedenken an ihren Vater derart beschmutzte.
»Dein Vater«, hatte er gesagt und blickte sie nun mitleidig an, »dein Vater hat nur darum stets danach getrachtet, ein frommer Katholik zu sein, weil er bereits lange Zeit, ehe er den gewaltsamen Tod starb, im Verdacht stand, zu den Katharern zu gehören.«
Eine Weile starrte Caterina ihn nur schweigend an. Dann hob sie die Faust.
»Du widerlicher, erbärmlicher, verlogener ...«
»Gemach, gemach«, fast lachte er, als er ihre Hand festhielt, aber er wurde schlagartig wieder ernst, kaum dass sie die Faust sinken ließ, »ich mag vieles sein und ein Lügner manchmal auch, in dieser Sache aber nicht. Ganz offenbar hat’s niemand für wert befunden, es dir zu sagen. Und doch verhält es sich so, dass unsere Großväter, welche Brüder waren, zeit ihres Lebens im Verdacht der Häresie standen. Der deine ist zwar dem Tod auf dem Scheiterhaufen entgangen, weil er Reue zeigte, aber man hat ihn all seiner Güter beraubt und ihn vor die Wahl gestellt, entweder in die Verbannung zu gehen oder ein gelbes Kreuz zu tragen.«
Immer noch mitleidig blickte er auf sie herab, indessen sie fortwährend den Kopf schüttelte.
»Das ist nicht wahr!«, rief sie.
Es konnte gar nicht wahr sein! War nicht alles, was aus seinem Mund floss, Lug und Betrug? War er nicht einer, der
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