Die Tochter des Ketzers
von der Unehrlichkeit lebte?
»Es tut mir leid«, sagte er leise, um ihr – wennschon mit schonungslosen Worten – nicht auch noch mit einer lauten Stimme zuzusetzen. »Hast du dir nie überlegt, woher der Schatz stammt, den du bei dir trägst? Oder nein, jetzt fällt’s mir ein, du hast sehr wohl erwähnt, dass ihn deine italienische Großmutter mit in die Familie brachte. Sie stammte aus der Lombardei, aus einem Dorf in der Nähe von Brescia – und dorthin war dein Großvater geflohen, so wie viele andere Katharer auch. Er hat gut daran getan, in der Fremde nicht der verderbten Lehre weiter anzuhängen wie manch dümmere, sondern sich im Exil darum zu mühen, in den Schoß der heiligen Kirche zurückzukehren. Ich denke mir, dass dies der Grund ist, warum er sich ein frommes Weib genommen hat, wie deine Großmutter es offenkundig war.«
Caterina rang nach Worten. Allerdings konnte sie ihm keine entgegensetzen. Manches Mal hatte sie Pèire von seiner sanften Mutter sprechen hören, die hier in Frankreich niemals heimisch wurde und zeit ihres Lebens an der Muttersprache festhielt. Caterina hatte ihren Namen erhalten – und hatte über Pèire diese Sprache gelernt. Doch über deren Gatten, den Großvater, kam nie auch nur ein Wort.
»Mein Vater war kein Ketzer!«, schrie sie nun, um zumindest an dieser einen unumstößlichen Wahrheit festzuhalten.
»Aber er war das Kind von einem solchen. Und in dessen Geist erzogen. Dein Vater hütete sich vor den Katharern, weil er wusste, dass ihre Zeit vorüber ist. Aber im tiefsten Inneren muss er geahnt haben, wie nah er ihnen trotz allem stand. Wie auch immer: Dein Großvater hat sein Vermögen wiedererlangt, nachdem er aus der Lombardei zurückgekehrt war. Es war zu jener Zeit, als der heilige König Louis Erbarmen zeigte, Gnade vor Recht walten ließ und manch einem die Güter wiedergab, wenn er sich nur vom Bekenntnis seiner Vorfahren distanzierte. Dein Großvater hat sogar die alten Rechte der Noblesse zurückgewonnen: das Recht zu richten, zu strafen, Truppen zusammenzurufen und diese zu befehligen.«
Caterina schwieg nun trotzig.
»Mein Großvater hingegen – er hatte sich seinerzeit gegen die Flucht entschieden und lieber das gelbe Kreuz getragen – war so dumm, sich an der Revolte in Avignonet zu beteiligen, an einem der letzten großen Aufstände gegen die Franzosen. Deswegen konnte er nicht auf Restitution – die Wiedererlangung seiner Güter – hoffen. Freilich frage ich mich, ob er es wirklich so übel getroffen hatte. Die Franzosen haben deinen Großvater und später deinen Vater um ihr Land beneidet, hielten ihre Frömmigkeit für Heuchelei und nutzten die erste Gelegenheit, ihnen den Besitz zu rauben, den ihnen die Inquisition zurückgegeben hatte. Mein Vater hingegen war zwar arm, aber zumindest hat er mit Freude gehurt und gesoffen und Bastarde gezeugt. Vielleicht ein schöneres Leben, als ständig Angst vor Missgunst haben zu müssen.«
»Wie kannst du so etwas nur aussprechen!«, empörte sich Caterina.
»Weil die Dinge so sind«, gab er schulterzuckend zurück. »Soll ich dir die Wahrheit verschweigen, nur weil du sie nicht vertragen könntest? Ich habe es bisher getan, weil ich dachte, dass es genug gäbe, woran du zu kauen hast. Doch so selbstgerecht, wie du dich benimmst, denke ich nicht, dass du der Schonung bedarfst ... Übrigens, wo ich gerade darüber nachdenke, ich glaube, wir haben noch eine Großtante, die wie dein Vater gewissen Reichtum bewahrte. Meines Wissens hat ihr König Louis eine Mitgift zugesichert. Ganze achttausend Sous, stell sich das einer vor! Weil man sie schließlich nicht für die Sünden ihres Vaters verantwortlich machen könne. Ich weiß gar nicht, was aus ihr geworden ist. Schade, dass ich mich nicht einmal ihres Namens entsinnen kann. Sonst könntest du bei ihr Zuflucht suchen und wärst von mir befreit. So hast du freilich Pech gehabt, musst weiter bei mir ausharren und drauf hoffen, dass meine Sünden nicht auf deine reine Seele abfärben!«
In den letzten Worten klang Hohn mit.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie bitter, »warum du alles mit Füßen trittst, was mir heilig ist?«
»Ich trete nichts mit Füßen«, antwortete er leichtfertig, »es ist mir schlichtweg gleich. Denn eines habe ich gelernt von der Geschichte dieses Landes und unserer Familie: Es lohnt sich nicht, für den Glauben zu sterben.«
»Es lohnt sich nicht, ohne Glauben zu leben! Und du ... sag mir nicht, du glaubst an gar nichts.
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