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Die Tochter des Ketzers

Die Tochter des Ketzers

Titel: Die Tochter des Ketzers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Kröhn
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viel Gewalt angetan hatte. Aber ich vergaß! Wenn sie erst vor dem Altar stehen, ist es ja ein Sakrament, und wenn er sie später womöglich wieder und wieder verletzt und demütigt, kann ein Pfaffe sein Kreuzchen drüber schlagen.«
    Caterina wollte aufbegehren, sich über seine lästerlichen Worte erzürnen. Doch plötzlich schmeckte es nur schal in ihrem Mund, als hätte sie von jenem faulen Obst gekostet, das auf die beiden Ehebrecher niedergegangen war.
    »Freilich ist es so«, fuhr Ray da schon fort, und seine Stimme klang nicht mehr nur grimmig, sondern jäh hoffnungslos, fast traurig, »dass man ohne Zeugen keine Schändung beweisen kann. Im Zweifelsfalle ist also ohnehin das böse Weib an dem schuld, was ihm geschehen ist. Hat wahrscheinlich zu keck seinen Blick gehoben. Hat wahrscheinlich den rechtschaffenen Mann verführt, so wie ja von der Frau alle Sünde in die Welt kam.«
    Das hatte ihr Vater auch gesagt. Nicht, dass der Mann weniger anfällig für den Teufel sei. Aber dass doch Eva die Erste war, die dessen Verlockungen erlegen war. Die Mutter hatte das ausreichend erschüttert, um nicht mehr zu reden. Auch Caterina fiel nichts zu sagen ein, wenngleich ihr in diesem Augenblick nicht die Angst vor der Sünde den Mund verschloss, sondern die wachsende Beklemmung darüber, dass das, was der Taugenichts da sagte, zutiefst richtig war, dass die Bestrafung, die sich die Menschen für die beiden Ehebrecher ausgedacht hatten, Gott nicht gefallen konnte ... ja, und selbst wenn es Ihm gefiele, so änderte sich nichts daran, dass sie jenes Vorgehen nicht länger für gut, sondern einfach nur für erbärmlich befand.
    Jener Gedanke war so plötzlich in ihr aufgestiegen, dass sie keine Worte fand, sich rechtzeitig dagegen zu wappnen. Erschrocken fiel ihr nichts anderes ein, als rasch ein Kreuzzeichen über ihre Brust zu schlagen.
    Rays flüchtiger Blick streifte sie. »Ja, ja, bete du nur«, murmelte er, und erstmals ließ sich wieder vertrauter Hohn daraus hören. »Dann hat schon alles seine Ordnung in dieser Welt.«
    Sie betete nicht, sie schwieg nur. Und schweigend erreichten sie das nächste Dorf, wo sie erleben mussten, dass es viel schlimmere Verbrechen als den Ehebruch gab – und viel grausamere Strafen als erzwungene Nacktheit.
    Diesmal stand die Menge nicht höhnisch und johlend am Richtplatz, sondern so starr, als wären die Menschen im Boden verwurzelt und dürften sich erst wieder lösen, wenn das Urteil vollstreckt wäre. Erbost war Ray, nachdem sie angekommen waren und gewahren mussten, dass sich erneut etwas in einem Dorf zutrug, was dem Verkauf von Arzneien ebenso abträglich war wie jedweder anderen Art, Geld zu verdienen, sei es als Possenreißer oder Gaukler oder Musikant.
    Doch nachdem er gefragt hatte, was sich zutrüge, und eine der Frauen ihm flüsternd geantwortet hatte, sah Caterina ihn kalkweiß werden. Als müsste er sich gleich übergeben, krümmte er sich mit elender Miene, und kurz dachte sie, dass ihn der gerechte Gott mit einer Krankheit geschlagen hätte.
    Der Anflug eines Lächelns erschien in ihrem Gesicht. Ray jedoch stützte sich auf den hölzernen Wagen. »Weg!«, murmelte er. »Weg von hier.«
    »Was ist denn geschehen?«, fragte Caterina verwirrt, und das Lächeln schwand von ihren Lippen.
    Es war nicht Ray, der ihr antwortete, sondern jene Frau, die auch ihm von der Hinrichtung berichtet hatte, die heute hier stattfinden würde. Sie tat es raunend, als gäbe sie nicht nur Wissen weiter, sondern spräche einen geheimen Zauberspruch.
    Ein Urteil würde heute hier vollstreckt werden, das im Kreuzgang der Kirche von Sernin verkündet worden war, und jene wiederum befände sich in Toulouse. Da könnte man sich schon denken, was das für ein Urteil wäre.
    Caterina hob fragend die Augen.
    »Hast keine Ahnung, Mädchen?«, raunte die Frau. »Scheinst ja nicht sonderlich viel von der Welt zu verstehen.«
    In Toulouse, so erklärte sie, säße seit vielen Jahrzehnten das Inquisitionstribunal. Einst hätte es vor der Kathedrale Saint-Étienne die Katharer verurteilt – zum Tod auf dem Scheiterhaufen, zur Konfiskation ihrer Güter oder zur Exhumierung ihrer Leichname, wenn sie denn schon tot waren. Seitdem die üble Ketzerei fast ausgemerzt worden war, waren diese öffentlichen Urteile seltener geworden, was nicht gleich hieß, es gäbe keine Deliquenten mehr. Der heutige Tag würde es beweisen. Dieser Mann hier, Richarz Marty, über den sie in Toulouse die damnatio mortuorum

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