Die Tochter des Ketzers
sich Caterina diese Sünden nicht vorstellen können. Heute fragte sie sich, ob er nicht die Vergehen seiner Vorfahren meinte. Und war es ihm überhaupt gelungen, sich von ihrem Bekenntnis zu lösen?
Wieder hatte sie Rays spöttische Worte im Ohr. Dein Vater gleicht doch den Ketzern. Er hasst die Welt wie sie.
Und hatte nicht Lorda einmal gesagt, dass auch bei den Ketzern Mann und Frau nicht beieinanderlagen, weil es Sünde wäre, Kinder zu zeugen? Diese Kinder galten, solange noch im Leib der Mutter gefangen, obendrein als Dämonen. Die katholischen Priester stritten dies aufs Heftigste ab, erklärten vielmehr, dass ein jedes neue Menschenkind vierzig Tage nach der Zeugung seine unsterbliche Seele erhalte.
Wem hatte ihr Vater geglaubt? Wem ihre Mutter? Hatte Lorda nicht von den Ängsten Félipas erzählt, als diese mit Caterina schwanger ging? Wenn sie stürbe, so hatte sie geklagt, so würde sie vielleicht nicht zu retten sein. Der Dämon in ihrem Leib würde sie ins Verderben reißen.
Caterinas Augen begannen ob des Rauchs zu tränen. Angestrengt stierte sie um sich, hoffend, sie könne in diesem Raum Antworten finden auf die Fragen, die sie kaum zu stellen wagte.
Wenig hatte sie von ihrem Vater gewusst. Und wer war eigentlich ihre Mutter gewesen?
Stammte auch sie ... von Ketzern ab?
Caterina konnte es nicht glauben, wollte es nicht. Nein, nein, den Ketzern hatte man sämtliches Vermögen genommen, ihre Mutter aber war mit reicher Mitgift in die Ehe eingetreten. Auch das hatte sie von Lorda erfahren. Zwar hatten dazu nicht, wie üblich, Felder, Weinberge, Gärten und Mühlen gehört, jedoch das Silbergeschirr, von dem sie später aßen, die Becher, aus denen sie tranken, auch Betten, deren Garnitur und Kleider schließlich, alles zusammen im Wert von dreihundert Sous.
Doch besagte diese Mitgift wirklich, dass Félipa aus gut katholischer Familie stammte?
Vielleicht war Félipa in ihrem Trachten, jegliche Sünde zu vermeiden, indem sie nichts tat, nichts entschied, nichts sprach, vom gleichen Wunsch getrieben wie ihr Vater – sich nämlich reinzuwaschen von den Sünden der Vorfahren!
Plötzlich hätte Caterina Ray verfluchen mögen für sein ständiges Geplapper, die vielen Worte, die manches verrieten, anderes andeuteten – in jedem Fall nun aber diesen gärenden Zweifel gesät hatten, dem sie an diesem Ort doch hatte entkommen wollen.
Hastig suchte sie ein neuerliches Gebet zu murmeln, doch die Worte gerieten ihr durcheinander, und noch ehe sie sie an rechter Stelle zu packen bekam, ward sie von einem Stöhnen gestört, das vom Portal kam.
Caterina blickte sich um, so wie die anderen auch, die hier Zwiesprache mit Gott suchten – und schrie leise auf, als sie die blutüberströmte Gestalt gewahrte, die sich kaum aufrecht halten konnte und schließlich mit einem neuerlichen Ächzen direkt am Eingang der Kirche zusammenbrach.
Es war Ray, der da lag.
Das erkannte sie erst, nachdem sie auf ihn zugestürzt war – gemeinsam mit zwei anderen Frauen, die mit ihr in der Kirche gebetet hatten. Anders als jene, die abwartend vor dem Verletzten stehen blieben, kniete sich Caterina zu ihm hin.
»Ray!«, rief sie entsetzt.
»Nicht anfassen! «, riet eine der Frauen mit hörbar angewiderter Stimme.
»Aber ...«
»Es heißt, wer hier im Gotteshaus mit Blut in Berührung kommt, darf die Kommunion nicht empfangen«, erklärte die Frau ernsthaft.
»Aber ...«, wandte Caterina wieder hilflos ein.
»So ist’s«, stimmte die andere zu, nicht bereit, sonderlich viel Mitleid für den Verletzten zu zeigen. »Beatris hat mir von einer schwangeren Frau erzählt, die eben noch in der Kirche war, als ihre Wehen einsetzten. Rasch ist sie heimgeeilt, doch noch ehe sie’s nach Hause schaffte, ist sie auf offener Straße mit dem Kindlein niedergekommen.«
»Das hat doch nichts damit zu tun ...«
»Und all die Frauen, die mit ihr zuvor in der Kirche gebetet hatten und von dieser Schande hörten, fühlten sich selbst so beschmutzt, dass sie ein halbes Jahr nicht zum Tisch des Herrn gingen! Will nur sagen: Blut macht unrein, ob’s nun von dir oder einem anderen stammt.«
Für Caterina war es freilich zu spät, sich rein zu halten. Unwillkürlich hatte sie den stöhnenden Ray am Nacken gestützt.
Aus langsam blau anschwellenden Augen blickte er sie an.
»Wir müssen weg, Base, wir müssen eilig von hier weg!«, brachte er mühsam nuschelnd aus den aufgeplatzten Lippen hervor.
»Was ist geschehen?«, fragte sie
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