Die Tochter des Königs
doch! Ich kann keinen Riegel finden. Die Tür schließt nicht richtig.« Sie spürte eine Hand auf ihrer, dann umfassten raue Finger die Klinke, und Demitrius presste seine Schulter gegen das Holz. Wenig später rastete kreischend ein Riegel ein, die Tür war geschlossen.
»Den Göttern sei Dank«, schluchzte Eigon und fiel Julia vor Erleichterung in die Arme. Dann versuchten sie herauszufinden, wohin sie sich geflüchtet hatten. Zwar konnten sie so gut wie nichts ausmachen, doch der kühlen Luft, dem Plätschern von Wasser und dem Duft von Blumen nach zu urteilen, standen sie in einem kleinen Garten. Von der anderen Seite der Mauer waren Rufe zu hören, jemand warf sich immer wieder mit aller Kraft gegen die Tür im Versuch, sich gewaltsam Zutritt zu verschaffen. Dann trieb ein Schwall obszöner Flüche zu ihnen herüber.
»Seid gegrüßt, Freunde.« Hinter ihnen ging eine weitere Tür auf, Licht strömte in den Garten, und blinzelnd schauten sie auf, während eine Gestalt in die Tür am oberen Absatz einer Treppe trat. Der Mann hatte eine Fackel in der Hand, die im leichten Wind aufflammte. »Ich vermute, ihr sucht eine Zuflucht. Bitte kommt herauf.«
Sie stiegen die Stufen hinauf und fanden sich in einer anderen Welt wieder. Offenbar waren sie von den Elendsvierteln in eine Gegend gekommen, die höher am Berg lag; es war eine Welt des ruhigen Wohlstands und der Eleganz. Erleichtert traten sie ins Haus, während ihr Retter die Türen hinter ihnen verriegelte. Er war groß und dunkelhaarig, hatte ein schmales, ansprechendes Gesicht und war vielleicht ein oder zwei Jahre älter als Flavius und weit attraktiver. »Großvater, ich glaube, wir haben Besuch bekommen.«
Als sich ihre Augen an das Lampenlicht gewöhnt hatten, erkannten sie, dass in dem Raum ein älterer Mann am Ende eines langen Tischs saß. Vor ihm waren mehrere Landkarten und Schriftrollen ausgebreitet, neben ihm stand ein Weinkelch.
Felicius Marinus Publius nickte ihnen zuvorkommend zu, als sei er es gewohnt, dass mitten in der Nacht zerraufte,
verängstigte Besucher durch den Garten zu ihm ins Haus drangen. »Wie angenehm. Bitte, kommt herein und setzt Euch.« Mit einer Bewegung hatte er alle Dokumente zu einem Haufen zusammengeschoben und betrachtete die Ankömmlinge. »Julius, mein Junge, einer dieser Männer ist verletzt. Kannst du Antonia rufen, damit sie sein Gesicht wäscht? Und diese jungen Damen wirken verstört. Was ist passiert?« Plötzlich klang er besorgt.
»Es war sehr freundlich von Eurem Enkel, uns hereinzulassen. Er hat uns das Leben gerettet.« Eigon trat vor. »Bitte erschreckt Euch nicht. Wir waren auf dem Heimweg, als ein Tumult ausbrach. Es ist zu einem Handgemenge gekommen, und plötzlich hat uns eine Horde Männer verfolgt.« Sie machte eine Pause. Die Männer hatten sie verfolgt, Eigon. Als ihr das zu Bewusstsein kam, wurde sie blass, fuhr aber tapfer mit ihrer Geschichte fort. »Wir sind vor ihnen geflohen, und dabei haben wir uns verlaufen. Ich weiß nicht, was wir getan hätten, wenn sich Eure Tür nicht geöffnet hätte. Ich glaube, sie hätten uns umgebracht.« Von Erschöpfung und Angst übermannt, rang sie um Selbstbeherrschung. »Einen von unserer Gruppe, unseren Sklaven Vulpius, haben sie zu fassen bekommen …« Ihr versagte die Stimme.
Julius verzog missbilligend das Gesicht. »Die Tür hätte nicht offen sein dürfen. Offenbar war Gott mit Euch. Wir schicken morgen einen Suchtrupp nach Eurem Sklaven - ich fürchte, jetzt im Dunkeln und wo die Straßen voller Menschen sind, wird niemand ihn finden.«
Eigon sah dankbar zu ihm. »Es war dumm von uns, so spät noch unterwegs zu sein. Und nur, weil Julia sich nicht entscheiden konnte, welches Armband sie kaufen sollte!«
Ihre Stimme war etwas scharf geworden. Ihr war nicht entgangen, dass der Blick des jüngeren Mannes unwillkürlich
zu ihrer Freundin gewandert war, und sie merkte, wie er bei ihren Worten wieder zu Julia schaute. Wie schaffte ihre Freundin es nur, so mühelos den Blick aller Männer auf sich zu ziehen? Und warum störte sie, Eigon, sich daran? Sie schalt sich selbst wegen dieses ungehörigen Gedankens in diesem unangebrachten Moment und merkte gar nicht, dass sie dabei selbst den Kopf kokett in den Nacken warf und diese Bewegung Julius nicht entging, so dass seine Aufmerksamkeit nachdenklich zu ihr zurückkehrte.
Wenig später hatte Julius’ Schwester Antonia Flavius’ Gesicht verarztet. Sie brachte Tücher und eine Schüssel warmes Wasser
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