Die Tochter des Königs
Julias Hand. Flavius folgte ihnen dichtauf, warf aber immer wieder einen Blick hinter sich. Sie entfernten sich immer weiter vom Lärm. Schließlich blieben sie stehen und rangen keuchend nach Luft.
Flavius wischte sich die Nase am Saum seines Ärmels ab. »Ist euch auch nichts passiert? Habt ihr gesehen, wie es dazu gekommen ist? Da hatte doch jemand ein Messer!« Beschützend legte er einen Arm um Julias Schultern. »Kommt. Wenn wir hier entlanggehen, kommen wir auf Umwegen zu den Pferden zurück. Ihr müsst von hier weg!« Wieder warf er einen Blick hinter sich.
»Was machen wir mit Vulpius?«, rief Eigon. »Wir können ihn doch nicht einfach dort lassen.«
»Wir können ihm aber auch nicht helfen. Ich bringe euch nach Hause, dann kommen Demitrius und ich zurück und suchen nach ihm.« Wieder wischte sich Flavius das Blut aus dem Gesicht. »Hier entlang. Wir versuchen, uns durch die Gassen durchzuschlagen.« Er vermutete, dass sie jetzt im Viertel Subura waren, das selbst bei Tag berüchtigt war. Leise fluchend sah er sich um. Wenn sie mehr im Osten wären, am Esquilin, wären sie eher in Sicherheit.
Doch bald wurde ihnen klar, dass sie sich völlig verlaufen hatten.
»In dieser Gasse waren wir schon einmal, Flavius.« Demitrius zeigte auf ein Tavernenschild. »Zu den drei Kelchen.«
Eigon nickte. Alle rangen nach Luft. »Er hat Recht. Ich höre noch nicht einmal aus der Ferne Schreie. Es ist fast zu still.«
Eng aneinandergedrängt, schauten sie sich um. Die Gasse zwischen den Gebäuden war schmal, mit ausgestreckten Armen könnte ein Mann fast beide Mauern berühren. Über den schiefen Dächern war der Himmel als sternübersäter Streifen zu erkennen.
»Und was machen wir jetzt?« Flavius versuchte, ruhiger zu atmen und tat sein Bestes, seine wachsende Panik zu verbergen. Er war verantwortlich für diese beiden Mädchen, sie hatten sich ohnehin schon verspätet, er hatte sie in entsetzliche Gefahr gebracht, und jetzt hatten sie sich auch noch hoffnungslos verirrt in einem Elendsviertel, in das er sich selbst bei Tageslicht und mit einer bewaffneten Prätorianergarde nicht mit ihnen wagen würde.
Am Ende der Straße war plötzlich Johlen zu hören. In einiger Entfernung tauchte eine Gruppe von Männern auf, die Fackeln schwenkten und wie Jagdhunde belferten.
»Ich kann’s nicht glauben, sie sind immer noch hinter uns her! Kommt, um die Ecke, damit sie uns nicht sehen.« Flavius verfiel wieder in einen Laufschritt. Die anderen hetzten ihm nach, bogen in eine weitere, noch schmalere Gasse, in der absolute Finsternis herrschte. Demitrius ging voraus. »Das ist eine Sackgasse.« Er blieb stehen und drehte sich zu den anderen um. »Wir sitzen in der Falle.«
»Dann müssen wir ganz leise sein«, zischte Flavius. »Vielleicht sehen sie uns nicht.«
»Sind sie hier entlang?«, rief eine Stimme hinter ihnen. Die Worte hallten zwischen den Gebäuden wider, und einen
Moment zeichnete sich vor dem Schein einer Fackel, die jemand hoch über die Köpfe hielt, eine Gestalt ab. Das Licht fiel auf die Mauern und hätte fast die kleine Gruppe erreicht, die dort im Schatten kauerte, aber nicht ganz. »Wo sind sie? Habt ihr sie gesehen? Ohne das Mädchen dürfen wir nicht zurück. Wir müssen sie finden, sonst sind wie verloren. Ich habe Leute davonlaufen sehen, hier sind sie rein.« Er kam die Gasse entlang auf sie zu, hielt die Fackel hoch über den Kopf, als ein Schrei von der Straße ihn innehalten ließ. »Hier weiter! Wir haben sie gesehen. Komm!«
Die Gestalt zögerte. Eigon und Julia hielten die Luft an, Eigon merkte, dass sie am ganzen Leib zitterte. »Das glaube ich nicht«, fuhr der Mann fort. Seine Stimme war ruhiger, richtete sich direkt an sie. Er hielt die Fackel noch höher. »Ich glaube, in dieser Gasse versteckt sich ein Nest verängstigter Mäuschen, und ich glaube, die werde ich mir schnappen!«
Vor Angst stöhnte Julia leise auf. Es gab keinen Ausweg. Sie drückten sich noch weiter in den Schatten. Eigon spürte den unnachgiebigen Stein unter ihren Schulterblättern, an der Hüfte einen glatteren, kälteren Vorsprung. Es war ein Ring. Hoffnungsvoll drehte sie sich um, tastete umher und fand einen Türknauf. Sie drehte daran, und knarzend öffnete sich eine kleine Holztür. Im Handumdrehen hatten sich alle hindurchgedrängt und schlossen sie wieder, das Holz schabte über die unebenen Pflastersteine.
»Kann man sie verriegeln?« Verzweifelt fuhr Eigon mit der Hand über die Tür. »Helft mir
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