Die Tochter des Leuchtturmmeisters
Natürliches. Kommst du aus einem Elternhaus, wo man nicht weinen durfte?«, fragte Maria.
»Nein, so ist es wohl nicht, aber …«
»Man kann eine Tablette nehmen und seine Arbeit machen. Das tun viele.«
Die Frau redete immer weiter und setzte das Messer dort an, wo es am meisten schmerzte: »Ich sehe, dass du kleine Kinder hast. Die brauchen ihre Mama. Du kannst jetzt nicht schlappmachen.« Sie legte den Stift mit einem Lächeln auf den Tisch.
Nichts konnte Saras Tränen mehr zurückhalten, sie strömten ihr über die Wangen. Durften diese Leute hier wirklich so reden? Es stimmte doch nicht, dass sie nicht arbeiten wollte, nur war es im Augenblick total unmöglich. Sie hätte jemanden mit hernehmen sollen, jemanden, der widersprochen hätte. Sie selbst war einfach nicht dazu imstande, und jetzt saß dieses Weib mit der hässlichen Frisur da vor ihr und trampelte auf ihr herum.
»Gute Besserung.«
Maria umarmte sie rüde, lotste sie hinaus und schloss die Tür hinter ihr. Das Codeschloss klickte. Sara knöpfte ihre Jacke zu und band sich den Schal um, doch nichts schien zu helfen, die Kälte drang überall herein. Sie fühlte sich so wertlos. Im Bus 312, der nach Marstrand fuhr, ließ sie sich auf einen Sitz fallen. Erst als sie schon auf halbem Weg nach Hause war, fiel ihr ein, dass ihr Auto noch immer in Kungälv stand.
Roland Lindström hatte den Fund vorbildlich in eine Plastiktüte getan. Vermutlich war es dieselbe Tüte, in der seine Frühstücksbrote gesteckt hatten, denn sie roch nach Salami und enthielt Brotkrümel. Er war mit dem Arbeitsboot von Pater Noster nach Marstrand gekommen. Jetzt lag es mit laufendem Motor und eingelegtem Gang im Wasser und stieß mit dem Steven wieder und wieder gegen die Kaimauer.
»Da stehen zwei Namen und ein Datum drin«, sagte Roland und reichte Karin die Tüte mit dem goldenen Ring.
»Wo habt ihr ihn gefunden?«, fragte Folke.
»Das war nicht ich, sondern einer der Männer. Ich werde bei ihm anfragen und melde mich dann wieder.« Er schaute Karin an.
»Nachfragen«, sagte Folke. »Es heißt nicht
anfragen
, sondern
nachfragen
.«
»Nicht nur Gesetzesverstöße sind dein Revier, sondern auch Sprachverstöße«, konterte Roland, aber Folke schien den Scherz nicht zu verstehen.
Karin lächelte, allerdings so, dass Folke es nicht sah.
»Hier ist meine Telefonnummer.« Karin reichte Roland ihre Visitenkarte und steckte die Tüte in die Tasche.
»Du kannst meine ebenfalls haben«, sagte Folke und notierte sie auf einem Zettel, den er aus seinem Taschenkalender riss. Karin sah Folke erstaunt an, das passte so gar nicht zu ihm.
Roland besah sich den Zettel.
»Neunte Woche«, sagte er. »Du musst jetzt ohne die auskommen. Ach, es heißt ja wohl
sie
und nicht
die
? Oder?«
»Richtig, und die Marstrander müssen bald ohne Kaimauer auskommen, wenn dein Boot noch länger dagegendonnert«, gab Folke zurück und warf einen missbilligenden Blick in die Richtung.
»Besten Dank, Roland«, mischte sich Karin ein und nahm Folke beim Arm, bevor er noch mehr sagen konnte.
»Dann wollen wir mal los.«
Roland schaute ihnen hinterher. Dann stieg er an Bord und setzte das Boot zurück. Mit weit mehr als den im Hafen erlaubten fünf Knoten brauste er in Richtung nördlicher Einfahrt davon.
»Wenn du sagst, dass wir
›loswollen‹
, was meinst du damit?«, fragte Folke.
Ein älteres Paar kam ihnen Arm in Arm entgegen. Der Mann nickte und legte die Hand an den Schirm seiner Schiffermütze. Ein alter Labrador schleppte sich mühsam hinter ihnen her.
Karin nickte lächelnd zurück, bevor sie die Stimme senkte und sich wieder zu Folke drehte: »Das meinst du nicht im Ernst. Was treibst du da eigentlich, Folke?« Karin fühlte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg.
Folke sah beleidigt aus.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst.«
»Wir führen hier eine Ermittlung«, erwiderte Karin scharf.
»Genau, und ich finde es wichtig, dass man sich korrekt ausdrückt«, entgegnete Folke.
»Da gebe ich dir recht, nur heißt korrekt für mich auch, dass man den Leuten höflich und freundlich begegnet. Man kann sie nicht dauernd korrigieren. Das ist unhöflich und verärgert die Leute, was wiederum dazu führt, dass sie keine Lust haben, mit uns zu sprechen oder uns zu unterstützen.«
»Jemand muss ihnen doch sagen, wie man redet. Sonst verwenden noch alle solche Ausdrücke wie ›sau
gut
‹. Sau steht doch für was Schmutziges oder Widerliches, weshalb man nicht saugut sagen kann.
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