Die Tochter des Leuchtturmmeisters
über sie dachte?
»Wo sind denn deine Schuhe, Linus?« Es war jetzt halb neun, und sie hatten noch immer genügend Zeit, um auf dem Weg zur Kita mit den Vögeln zu reden und die Schnecken zu studieren.
»Da sinn die.« Seine fröhlichen blauen Augen strahlten sie unter der gestreiften Mütze an.
»Ja, da sind sie. Wie gut. Wollen wir gehen?« Sie öffnete die Haustür.
»Chüs, Katze.« Er drehte sich in der Tür um und winkte. Der rotgestreifte Kater auf der Couch grub sich tiefer in die Kissen. Jetzt, wo er wusste, dass ihm in nächster Zeit kein Spielauto auf den Kopf gedonnert würde, konnte er sich entspannen.
»Gehen wir zur …«, begann sie, und der Kleine beendete den Satz mit einem fröhlichen: »Kita!« Zum Glück ging er gern dorthin.
»Linus Freunde«, fügte er hinzu, was Sara ein Lächeln entlockte. Er sprach ungemein gut, wenn man bedachte, dass er erst zwei Jahre alt war. Linnéa war stiller, obwohl sie älter war.
»Heute ist Dienstag. Da geht ihr wohl raus. Das wird doch bestimmt spannend?« Sara wandte sich an die Tochter, die nickte.
»Hallo, Linus! Hallo, Linnéa!« Mit fröhlichem Rufen stießen Ida und Emil aus der Nebenstraße hinzu.
»Na du, wie geht’s?« Hanna umarmte sie.
»Jetzt nicht.« Sara mühte sich, ihre Stimme im Griff zu behalten.
»Aber Liebes.« Hanna wirkte bekümmert. »Kann ich was tun?«
Nicht heulen, bloß nicht heulen!, dachte Sara, während sie auf dem kopfsteingepflasterten Bürgersteig zu Marstrands Kindergarten weitergingen. Du schaffst das, sagte sie sich. Kannst heulen, wenn du wieder zu Hause bist.
»Sprich von was anderem.« Sara blinzelte die Tränen weg.
»Okay. Entschuldige. Wann werden sie diesen Mist hier endlich reparieren?« Hanna zog an dem klemmenden Riegel der Gartentür zur Kita. »Ja, ich hätte da ein ganz anderes Gesprächsthema. Also, wenn du dich für Sex mit einem der folgenden drei entscheiden müsstest, wen würdest du nehmen? Schwiegervater Waldemar, Dianes wunderbar erfolgreichen Mann Alexander oder den alten Ernst aus dem Pflegeheim, du weißt, den mit all den Muttermalen?« Hannas Alternativen brachten Sara zum Lachen.
»Du bist wirklich krank«, sagte sie.
»Ach so, ich dachte, du wärst die Kranke«, konterte Hanna. Die Kinder hüpften durch die Gartentür, bis auf Emil, Hannas Jüngsten, der im Kinderwagen saß. In zehn Tagen würde er ein Jahr alt werden und war noch immer daheim bei seiner Mutter.
Die Gruppen in Marstrands Kindergarten trugen idyllische Namen wie Möwe, Muschel und Seeschwalbe.
Sara hängte Linus’ Jacke zur Gruppe Seestern und stellte die Schuhe in sein Fach. Dann zog sie ihm die blauen Hausschuhe an die Füßchen, während er ihr zärtlich die Wange tätschelte. Linnéa wurde von Amanda unterstützt, der fünfjährigen Hilfskraft der Gruppe.
»Mama«, sagte Linus. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. Der Junge hatte ein ausgeprägtes Gespür dafür, dass es seiner Mutter nicht gutging.
»Ja, Liebling. Mama geht jetzt, und du kannst hier mit Linnéa und deinen Freunden spielen.«
Die Kindergärtnerin Pernilla, die mit Linnéa an der Hand bereits wartete, nahm ihn in die Arme.
»Nun wünschen wir Mama einen richtig guten Tag«, sagte sie. »Kommt ihr zwei, wir winken vom Fenster.«
Sara winkte und warf den Kindern eine Kusshand zu, bevor sie sich umdrehte und mit schnellen Schritten heimwärts eilte. Sie setzte sich an den Küchentisch und blätterte in der Tageszeitung, ohne etwas zu sehen. Tränen benetzten die Seiten.
»Hör schon auf!«, befahl sie sich selbst. »Nimm dich zusammen. Man kann nicht einfach nur dasitzen und heulen. Okay, überlegen wir mal. Was läuft denn eigentlich verkehrt? Tut mir irgendwas weh? Nein.«
Doch, dachte sie dann. Die Seele tut mir weh. Es ist, als ob sie kaputt wäre und man unendlich viel Zeit brauchte, um sie zu reparieren. Zeit, die ich nach meiner Meinung nicht habe.
Es klopfte an der Tür. Sara wischte rasch die Tränen weg und schnäuzte sich. Vor der Tür stand Markus, ihr deutscher Untermieter.
»Hello«, sagte er, »sorry to disturb. Can I borrow your computer?«
Sara ließ ihn herein und schaltete den Rechner im Arbeitszimmer ein. Markus hatte Probleme mit seinen E-Mails und musste sie daher von Saras PC aus abschicken. Hoffentlich stößt er nicht auf die Codenummern des Internet-Bankings, dachte Sara, als sie ihn allein ließ. Fünf Minuten später verabschiedete er sich dankend.
Sara zog die rote Sporthose, ein T-Shirt und
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