Die Tochter des Leuchtturmmeisters
Oder dieses ›voll fett‹, was soll das überhaupt bedeuten? Hast du gehört, wie die Schüler heute reden? Ich weiß noch, als man …«
Karin beschloss, ihn zu unterbrechen, bevor er womöglich noch damit anfing, wie es war, als man kilometerweit zur Schule traben und im Winter durch tiefen Schnee stapfen musste, weil kein Weg freigeräumt war.
»Stimmt schon, aber Sprache ist lebendig und entwickelt sich weiter. Sonst würden wir heute ja noch altschwedisch sprechen. Möchtest du das etwa?«, fragte Karin.
»Ich höre im Radio immer eine interessante Sprachsendung. Einer der dort auftretenden Professoren sagt …«
Karin schaltete ab und versuchte sich zu beruhigen. Sie holte tief Luft. Zähl bis zehn, dachte sie. Wenn nur Rob bald wieder gesund würde.
Robert Sjölin, gewöhnlich Rob genannt, war Karins Kollege, der sie obendrein dazu gebracht hatte, nach drei Jahren beim Kripo-Einsatzdienst zur Fahndung zu wechseln. Eigentlich war der Schritt gar nicht so groß. Ihre Aufgabe beim Kripo-Einsatzdienst hatte darin bestanden, an einem Tatort als erste Verantwortliche festzustellen, was passiert war. Wenn der Täter nicht bekannt war, übernahm das Fahndungsdezernat den Fall, anderenfalls landete die Angelegenheit auf dem Tisch des Ermittlungsdezernats. Karin hatte oft mit Rob und seinen Kollegen von der Fahndung zusammengearbeitet, und Rob hatte sie letzten Endes überzeugen können, dass sie bestens zu ihnen passte. Gut ein Jahr war das jetzt her. Die Arbeit lief glatt und reibungslos, wie glatt, war ihr vielleicht bis heute nicht einmal klar gewesen. Jetzt lag Rob krank zu Hause, und sie stand mit Folke hier. Sie musste einfach das Beste aus der Sache machen.
»Was meinst du, Folke? Sollten wir nicht in Richtung Fähre gehen und mal schauen, ob wir irgendwo was zum Mittag bekommen?Dabei können wir uns dann Gedanken machen, wie wir weiter verfahren wollen.«
Folke antwortete mit einem Brummen, beschleunigte aber den Schritt. Karin nahm es als Zustimmung. Das traditionsreiche Café Berg hatte Stühle und Tische auf den Kai gestellt, der im Windschatten lag und in der Frühlingssonne badete. Folke setzte sich auf einen Stuhl, der bereits trocken war. Karin nahm ihm gegenüber Platz. Sie schloss die Augen und genoss ein paar Sekunden die Sonnenwärme, bevor sie wieder aufsprang. Da war die Nässe bereits durch die Hose gedrungen.
»Verdammte Scheiße«, sagte sie und bereute ihre Äußerung sofort. Folke schwieg. Es wurde nicht besser davon, dass dieses Café bisher leider nur am Wochenende geöffnet hatte. Schließlich landeten sie im Café Matilda, ebenfalls am Kai gelegen. Um einen Tisch, der auf den Pflastersteinen balancierte, warteten ein paar feuchte Stühle auf Gäste. Der Kellner wischte Tisch und Stühle trocken und brachte ein paar Decken.
»Ein Café?«, murrte Folke. »Wollen wir denn nichts Richtiges essen?«
»Also Folke, das andere war doch auch ein Café. Warum hast du nicht gesagt, dass du woandershin willst«, erwiderte Karin. Sie konnte sich nicht verkneifen, ihn zu fragen: »Hör mal,
richtiges
Essen. Was genau meinst du damit? Gibt es denn
unrichtiges
Essen?« Sie überlegte, ob sie zu weit gegangen war, während sie auf das Schild mit der Ankündigung »Tagesgericht, 99 Kr« wies. Doch ersparte sie sich hinzuzufügen, dass sie das unverschämt teuer fand. Folke hingegen nahm kein Blatt vor den Mund.
»99 Kronen ohne Getränk, also allein fürs Mittagessen? Das wäre schon normalerweise teuer, aber auch noch ohne Getränk … Ich habe im Revier meine Box stehen.«
»Ach so, meinst du, wir sollten hinfahren und sie holen?«, fragte Karin.
Selbst wenn sie als Typen total unterschiedlich waren, müssten sie doch als Polizisten zusammenarbeiten können. Sie hatten doch dasselbe Ziel, zumindest sollten sie es haben. Warum machte er es ihnen dermaßen schwer? War sie für ihn genauso belastend? Weil sie eine Frau war und jünger als er? Oder weil sie den Ton angab? Karin beschloss, ihm ein bisschen entgegenzukommen. Er sollte die Möglichkeit zur eigenen Initiative haben. Sie zog die Tüte mit dem Ring aus der Tasche und gab sie ihm.
Er drehte den Ring so, dass er die eingravierte Inschrift lesen konnte.
»
Siri und Arvid 3/8 1963.
Das könnte derselbe Arvid sein, der in Stens Ordner als vermisst gemeldet ist.« Folke überlegte. »Wenn die Personen in Marstrands Kirche geheiratet haben, sollte man sie doch wohl in den alten Kirchenbüchern finden?« Die Frage war an Karin gerichtet,
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