Die Tochter des Leuchtturmmeisters
anderen. Zuoberst ein Totenkopf, aber nicht der war das Erschreckendste, sondern das andere: ein Hakenkreuz.
Marstrand, 1. August 1963
Siri hatte schon die Mitteilung von Arvids und Elins Verlobung nicht gut aufgenommen. Und sie war tatsächlich schockiert gewesen, dass er nicht einmal auf den Gedanken gekommen war, ihr von ihrer Heirat zu erzählen. Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn er ihr an diesem Tag von der Trauung berichtet hätte. Aber das tat er nun mal nicht.
Mit Panik in der Stimme hatte sie eine Segeltour vorgeschlagen, und aus Mitleid hatte Arvid zugestimmt. Das Folkeboot mit den vier Personen an Bord segelte von Marstrand vor dem Wind nach Süden. Die Sonne schien auf die große Festgesellschaft, die sich in der weißen Arztvilla auf Klöverön versammelt hatte. Von der Villa blickte man auf den Albrektsunds-Kanal und das Gebiet jenseits davon, das Halsen genannt wurde.
Fröhliches Lachen erklang, als das Boot dort vorüberfuhr, und das Streichquartett, das in dem gelben Pavillon saß, sandte harmonische Töne aufs Wasser hinaus. Am Kanalufer stand ein Fotograf und machte Aufnahmen von den Gästen, Paar um Paar.
Der warme, sanfte Wind führte sie an Sälö-Knapp vorbei. Elin war grün im Gesicht und ging dankbar an Land, als sich Gelegenheit dazu bot. Noch war nicht zu sehen, dass sie schwanger war. Arvid hatte seine Arbeitszeit verkürzt, um sich um seine Frau kümmern zu können, der es in den ersten Wochen entsetzlich schlecht gegangen war. Sie sah dünn und zerbrechlich aus, als sie jetzt in eine Decke gehüllt auf dem Felsen saß und Siri Kaffee servierte. Arvid mochte den Mann nicht, der Siri begleitete, nicht weil er ein unangenehmer Typ war, sondern weil er verheiratet war.
»Im Ernst, Arvid«, hatte Elin geflüstert, »muss sie ihn die ganze Zeit Liebling nennen?«
»Vielleicht ist das ja sein zweiter Name, Blixten Liebling«, sagte Arvid lächelnd.
Blixten, wie man ihn nannte, hatte eine hohe Position in der kleinen Ortschaft inne. Siri hatte wirklich ihr Bestes getan und tischte nun leckere Brote und Kuchen auf. Wenn keiner hinsah, knabberte Elin ihre mitgebrachten Apfelstücke. Sie hatte rapide abgenommen, aber der Arzt hatte gesagt, die Übelkeit werde sich schon geben. Arvid machte sich Sorgen und hoffte, es würde bald der Fall sein. Elin wandte sich mit Widerwillen ab, als sie den Kaffeegeruch wahrnahm, und Arvid trank unauffällig auch ihre Tasse aus. Siri knöpfte ihre Bluse unnötig weit auf und legte sich zum Sonnen auf einen Felsbuckel. Elin und Arvid machten sich zu einem Spaziergang auf, aber Arvid bemerkte noch, dass Siri und ihr Bekannter zurück an Bord gingen, als sie die beiden anderen außer Sichtweite glaubten.
Der Wind hatte während ihres Aufenthalts an Land auf Südwest gedreht, und sie segelten nun zuerst gen Westen und dann nordwärts an allen Inseln vorbei bis Klädesholmen, wo sie umkehrten. Arvid fühlte sich nicht richtig wohl, es war nicht nur die Sorge um seine Frau, sondern er hatte das Gefühl, dass sein Körper plump und ungelenk war, und er konnte sich nur mit Mühe bewegen. Auch das Luftholen fiel ihm zunehmend schwerer.
Aus Angst, Elin zu beunruhigen, sagte er nichts, aber Siri sah ihn besorgt an. Blauschwarze Wolken waren am Horizont aufgezogen, und der Wind hatte an Stärke zugenommen, als sie jetzt die letzte Strecke über den Marstrand-Fjord in Angriff nahmen. Die Wellen waren bedrohlich dunkel, und nun ließ der Wind für kurze Zeit nach, so als wollte er Atem holen.
In dem Augenblick passierte es. Arvid hatte sich umgedreht und nicht gesehen, wie es geschah, aber Elin war über Bord gegangen. Er hörte ihren Schrei, und ohne eine Sekunde zu zögern, warf er sich ihr ins Wasser hinterher.
»Arvid! Nein!«, hatte ihm Siri nachgerufen, aber der Mann neben ihr hatte sie am Arm gepackt. Es sah aus, als würde er sie schütteln.
Arvid fühlte die Übelkeit kommen, während er Elin in einer Welle verschwinden sah. Er zwang sich zu schwimmen und versuchte seine Frau nicht aus den Augen zu lassen.
»Das Boot«, sagte sie, als er sie endlich erreicht hatte.
Er schaute zurück, aber es war, als würden die Augen nicht mitgehen. Er meinte, ein Boot zu sehen, oder war es eine Insel? Es segelte im Kreis, immer im Kreis. Sein Mund füllte sich mit Wasser, aber als er es ausspuckte, bemerkte er, dass es kein Wasser war, sondern dass er sich übergab. Sein Magen verkrampfte sich, und obwohl er seinen Armen und Beinen zu schwimmen befahl,
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