Die Tochter des Leuchtturmmeisters
Vorwärtsgang ein und gab etwas Gas. Der schwarze Stahlkörper kam in Fahrt. Mit der Seekarte auf der Bank neben sich steuerte sie zwischen den Piers des Hafens hinaus. Laut VHF-Funk waren im Augenblick keine größeren Schiffe zum oder vom Göteborger Hafen unterwegs. Sie querte die Fahrrinne und fuhr nordwärts, vorbei an den Varholmarna. Die gelben Fähren des Straßenverkehrsamts pendelten hin und her, mit allen, die nach Björkö oder zu den Inseln im Umkreis wollten. Karin fuhr weiter, ohne ein richtiges Ziel zu haben, jedenfalls keins, das ihr bewusst war. Es begann zu dämmern, als sie am Leuchtturm Sälö-Knapp vorüberkam. Sie schaltete die Positionslaternen ein und bestimmte auf der Seekarte den Kurs zur Einfahrt in den Albrektssunds-Kanal. Wenn man von Süden kam, gab es kein Leuchtfeuer an dieser Einfahrt, also musste sie sich allein auf den Kompass verlassen. Sie hatte keine Lust, extra das GPS, den Satellitennavigator, zu starten.
Die grauen Inseln verschmolzen miteinander, je mehr die Dunkelheit zunahm. Die Kanalmündung konnte nicht mehr weit sein. Da! Die vor dem Kanal liegenden Tonnen tauchten auf, und Karin bog zwischen die beiden Felsbuckel ein. Die Ringe im Gestein erinnerten daran, dass es noch nicht sehr lange her war, dass die Segelschiffe dankbar diesen Weg genommen hatten, statt über das offene Wasser des Sillesunds zu fahren. Das rote Häuschen Högvakten wirkte gut in Schuss, sah aber verlassen aus. Auf dem Felsen nebenan hatte jemand einen kleinen Pavillon errichtet.
Karin hielt sich in der Mitte des Kanals, weil sie wusste, dass er auf beiden Seiten rasch abflachte. Im Sommer verkehrtenhier jede Menge Boote, und es gab mehr oder weniger zwei Fahrtrichtungen. Sie blickte in das dunkle Wasser hinab, es sah aus, als herrschte Gegenströmung. Der Gashebel erhielt einen Stoß. Der Kanal machte nun eine weiche Biegung nach rechts, und vor ihr lag Marstrand, der alte Fischereiort. Es begann irgendwo im Bauch und breitete sich im ganzen Körper aus. Kribbelnde Erwartung. Von klein auf war es so gewesen, wenn sie Marstrand erblickte. Diese Spannung angesichts der Festung und der schmalen Gassen. All der Schnitzereien an den Balkonen der Holzhäuser, die jede Generation mit neuen Farbschichten überpinselt hatte. Abends die Wärme der weichen Felsbuckel. Sie erinnerte sich, dass sie als Kind überlegt hatte, was man wohl für eine Arbeit hatte, wenn man hier draußen wohnte.
Ein Fischkutter mit altertümlich stampfendem Glühkopfmotor kam ihr entgegen. Ein älterer Mann stand auf dem Achterdeck am Steuer. Karin verringerte das Tempo und überlegte, wo sie anlegen sollte. So früh in der Saison konnte man frei wählen. Ansonsten wusste sie, was passierte, wenn man in einen Hafen kam. Die Leute schienen immer davon auszugehen, dass man als Frau nicht mit einem Boot umzugehen verstand. Die Männer auf ihren neuen Fünfzig-Fuß-Segeljachten stellten schnell die Schampusgläser weg, um an den Bootsseiten eine Menge extra Fender festzumachen. Verlief das Anlegen dann reibungslos, versuchten sie so zu tun, als hätten sie ohnehin ein paar zusätzliche Fender aushängen wollen. Nach ein paar weiteren Gläsern Schampus wagten sie sich schließlich näher, um mit ihr zu reden und sich nach der Ausstattung des ungewöhnlichen Bootes zu erkundigen.
Ihre Entscheidung fiel auf den äußeren Schwimmanleger von Koön. Die Wassertanks brauchten eine Auffüllung, und dort gab es einen Anschluss mit Schlauch. Die Pizzeria und der Konsum trugen wohl das Ihre zu ihrer Wahl bei, gestand sie sich ein. Sie verringerte das Tempo noch weiter und stieg an Deck, um Fender und Festmacherleinen herauszunehmen.Routiniert band sie die Fender an der Steuerbordseite fest, bevor sie wieder nach dem Ruder griff. Das Boot glitt auf den Anleger zu, und Karin legte den Rückwärtsgang ein, so dass es sanft längsseits des Stegs zum Stehen kam. Sie nahm die Heckleine und stieg an Land. Der Motor lief eine Weile im Leerlauf weiter, bevor sie ihn ausschaltete. Dann nahm sie die Motorhaube ab, damit sich die Wärme im Boot ausbreitete. Die Uhr über dem Barometer am Schott zeigte zehn Minuten nach sieben, und sie war sich nicht sicher, ob der Laden noch geöffnet hatte. Sie hängte die Segelkleidung an den Messinghaken und streifte einen dicken Pullover über. Jacke und Hose sahen einsam aus, bisher hatten dort immer zwei Paar gehangen. Der Abend war kühl, und sie brachte den Ofen in Gang, bevor sie an Land ging. Man konnte sich
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