Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
›Edler Malk, du hast meine Krieger getötet und nun auch mich überwunden, aber was ist dein Sieg wert? Sieh, deine Stadt steht in Flammen, und ihre Mauern zerbersten. Bald schon wird nichts von ihr übrig sein als Asche und Staub.‹ Und dann starb Immit Schaduk.«
Maru glaubte, vereinzelt leises Schluchzen zu hören.
»Und Malk Numur blickte sich um und sah, dass der Immit wahr gesprochen hatte. Da packte ihn große Wut. Er hob den
Speer mitsamt dem gewaltigen Leib des Immit auf und rief: ›Soll es so sein, dass ich einen Sieg erringe, der mir nun unter den Händen zerrinnt? Hört keiner meiner Ahnen die Klagen meiner Stadt? Will keiner meiner Vorfahren eine Hand für Serkesch rühren, die Stadt, die wir, aus dem Hause Hegasch, mit unseren eigenen Händen gebaut haben?‹ Und mit diesen Worten rammte Numur den Speer seiner Vorfahren in die Erde, dass sie erbebte! Da erhörten seine Vorfahren sein Flehen, denn dort, wo Numur noch am selben Morgen den Körper seines geliebten Vaters zur ewigen Ruhe gelegt hatte, da erzitterte der Fels, und plötzlich brach er auf – und aus dem Grab von Raik Utu spie das Gestein eine große Woge Wassers hinaus! Und der Bach, der Jahrhunderte versiegt war, er sprudelte wie nach einem großen Regen! Das Wasser strömte durch das Tal der Gräber und hinaus zur Stadt Serkesch. Und es wird erzählt, dass Utu die Toten aus den Gräbern erweckte und sie aussandte, um die tausend Brände in der Stadt zu löschen. Denn als alle Flammen erstickt waren, da fand man viele Knochen auf den Straßen. Und die Serkesch fragten: ›Wie kann das sein? Woher kommt dieses Wasser, und wie konnten die Toten uns helfen?‹ Und Malk Numur antwortete: ›Habt ihr es nicht gesehen? Utu, mein Vater, Ahngott der Stadt, hat sich erhoben. Er hat die Toten zu Hilfe gerufen und uns Wasser gebracht in der Stunde der Not. Wahrhaftig – er ist ein Gott.‹ Da rief ein Fischer: ›Ich habe den Leib des Ahngottes gesehen. Er trieb mit dem Wasser hinaus auf den Dhanis und fort nach Süden.‹ Da traten die Priester aller Tempel zusammen. Sie deuteten die Zeichen und einig waren sie, wie nie zuvor. Der Oberste von ihnen, Mahas, der Diener Strydhs, sprach: ›So ist es der Wille von Gott Utu, dass wir seinem Leib nach Süden folgen und nehmen, was uns zusteht. Denn in Ulbai verehren sie Strydh nicht und sie lachen über ihn. Aber Utu, Strydhs Diener, wird ihnen das Lachen austreiben.‹ Und keiner war in Serkesch, der an seinen Worten
zweifelte. Also nahmen sie ihre Schwerter und Schilde und zogen in den Krieg. Ihr Gott Utu aber schritt ihnen voran, und als die Akkesch aus Ulbai seiner angesichtig wurden, da warfen sie ihre Waffen fort und flohen. Und seither folgen die Serkesch ihrem neuen Gott den Fluss hinab – und schreiten von Sieg zu Sieg zu Sieg.«
Betretene Stille hatte sich im Samnath ausgebreitet.
»Er ist immer noch ein guter Erzähler«, murmelte Tasil anerkennend.
»Aber Onkel!«, flüsterte Maru, »das Wasser... aus dem Grab – das waren doch wir!«
Tasil betrachtete sie mit einem durchdringenden Blick. »So? Waren wir das? Es geschah doch erst, als ich das Grab schon verlassen hatte. Was genau ist eigentlich damals geschehen, Kröte?«
Das war nun eine Frage, die Maru auf keinen Fall beantworten wollte.
»Ich danke dir, alter Mann, du hast den Kindern Angst gemacht«, sagte eine höhnisch klingende Stimme vom Kopfende des Samnath. Dort, auf den Ehrenplätzen, saßen vier Männer. Es waren wohl die Ältesten, von denen der Wächter gesprochen hatte. Drei waren im Greisenalter, oder kurz davor, aber einer war viel jünger, sicher kaum dreißig. Er war dicklich und rotgesichtig, und er war es, der gerade gesprochen hatte.
»Man hat mich gebeten, davon zu erzählen, also erzähle ich, Edaling Hana«, entgegnete Biredh würdevoll.
»Diese neuen Geschichten gefallen mir nicht. Hast du keine besseren? Welche aus der Alten Zeit oder vom Helden Tiuf? Etwas, das wir kennen, das uns aufheitert an diesem verregneten Tag und in dieser schweren Zeit.«
»Was ist, fürchtest du dich etwa?«, fragte Biredh lächelnd.
Der Mann, den Biredh als Edaling Hana bezeichnet hatte, wurde
wütend. »Du sitzt als Bettler auf meiner Schwelle, Alter, du solltest dein Mundwerk im Zaum halten.«
Einer der Älteren, der neben ihm saß, legte dem Edaling beruhigend eine Hand auf den Arm und deutete mit einer Kopfbewegung zur Tür. »Willst du unsere neuen Gäste nicht begrüßen, Hana?«
Der Edaling reckte seinen
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