Die Tochter des Magiers 02 - Die Gefährtin
müssen, und hatten sich vom Reich der Akkesch ferngehalten. Das änderte sich nun. Tasil nahm den Weg nach Aurica, und das gehörte dem Kaidhan. In Aurica gab es nicht viel, außer Schafherden, armseligen Dörfern, Wind – und Hügelgräbern. Die waren alt, sehr alt. Tasil hatte ihr gezeigt, wie man einen Raubschacht so anlegte, dass er nicht über einem zusammenfiel, und wie man die Steinmauern des eigentlichen Grabes öffnete, ohne das, was dahinter lag, zu beschädigen. Trotz seiner Umsicht und Erfahrung war die Ausbeute mager gewesen. Manche Gräber waren schon geplündert. In den anderen fanden sie oft nur alten Bronzeschmuck, den sie einschmelzen mussten, weil er sie sonst verraten hätte. Es gab weder Silber noch Eisen in diesen alten Gräbern. Es war mühselig und enttäuschend. Tasils Laune hatte sich von Tag zu Tag verschlechtert. Und dann hörten sie das Gerücht: Fremde Reiter seien aufgetaucht, in schwarzen Mänteln und mit schrecklichen Masken statt Gesichtern. Und sie suchten nach einem Mörder, einem Grabschänder, einem Südländer, der mit einem grünäugigen Mädchen reiste. Die Hakul hatten ihre Spur gefunden! Und so war aus ihrer Wanderung wieder eine Flucht geworden. Zuerst waren sie nach Süden geflohen, doch dann, eines Morgens, hatte Tasil eine neue
Richtung eingeschlagen. Das war in einer Hafenstadt am Schlangenmeer gewesen, nach einem Abend, an dem sich Tasil lange mit einem Mann aus Ulbai, einem Schreiber, unterhalten hatte. Aber natürlich hatte er ihr nicht verraten, worüber er mit diesem Mann gesprochen hatte.
»Trödel nicht, Kröte, wir werden erwartet«, riss sie Tasil schließlich aus ihren Gedanken.
Es war inzwischen dunkel geworden, und der Regen hatte etwas nachgelassen. Das Samnath lag in der Mitte der Insel, an ihrem höchsten Punkt. Es war ein großes Gebäude mit dem üblichen, dick gedeckten Schilfdach. Seine Holzwände waren durch viele schmale Schlitze unterbrochen. Lichtschein drang nach draußen. Drinnen sprach jemand, es war der typische Tonfall eines Erzählers. Maru blieb stehen. Diese Stimme… »Hörst du das, Onkel?«
Tasil runzelte die Stirn. »Es klingt zumindest sehr ähnlich.«
Als Maru über die Schwelle trat, war sie sich schon sicher. Einige Laternen erhellten das Samnath, aber ihr Licht war schwach und der Saal voller Schatten. Viele Menschen waren dort versammelt, Männer zumeist, die alle gebannt in die Mitte des Raumes starrten. Dort stand er: Biredh! Der blinde Erzähler gab eine seiner Geschichten zum Besten. Maru war so überrascht, ihn hier zu treffen, dass sie zunächst gar nicht darauf achtete, was Biredh zu erzählen hatte. Er war in seinem Element. Seine Stimme schien wie ein lebhafter Vogel durch die Halle zu flattern. Die Zuhörer hingen an seinen Lippen. Und jetzt nahm auch Maru den Faden der Geschichte auf. »... und sie kämpften wie Löwen, Malk Numur und Immit Schaduk«, erzählte Biredh. »Unter dem Tor des Brond stießen die beiden Recken zusammen. Und um sie herum stand die Stadt in lodernden Flammen.«
Maru traute ihren Ohren nicht. Biredh berichtete aus Serkesch!
»Und Numur durchbohrte zehn Krieger aus Ulbai mit seiner Lanze, und Schaduk erschlug zehn Männer Numurs mit seinem Schwert. Endlich aber standen sie einander gegenüber.«
Maru konnte nicht glauben, was sie da hörte: Der Immit? Gekämpft wie ein Löwe? Dieser schmächtige alte Mann war doch wohl kaum in der Lage gewesen, ein Schwert zu führen, und sicher war er außer Stande, Männer damit zu erschlagen. Sie erinnerte sich an das Bild, das der Daimon ihr gezeigt hatte: Schaduk, der halb verbrannt unter dem Tor gelegen hatte, und seine Frau, die schöne Umati, die verwundet zwischen toten Kriegern stand. Biredh nahm sich für seine Erzählung offenbar einige Freiheiten heraus.
»Und der Immit holte zu einem gewaltigen Streich aus und sprang auf Numur los, und mit seinem Hieb zerschmetterte er den Schild des Malk.« Ein Aufschrei lief durch die gebannt lauschende Menge. »Aber dabei zerbrach nicht nur der Schild, auch das Schwert zersprang in des Immit Hand! Und so stand er Numur gegenüber, ohne Schwert, mit zerfetzter Rüstung. Ein wehrloser Mann. Doch Numur ist nicht von jener Art, die Mitleid kennt. Er hob den siegreichen Speer seiner Ahnen und durchbohrte den Leib seines Feindes.«
Wieder erklangen Schreie. Die Spannung im Saal war mit Händen zu greifen.
»Und Schaduk brach zu Füßen des Abtrünnigen zusammen. Sterbend aber sagte er zu Numur:
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