Die Tochter des Münzmeisters
wusste niemand über Henrikas Verbleib Bescheid, und von den Vorkommnissen vor der königlichen Pfalz hatte ebenfalls keiner etwas mitbekommen. Allgemeine Sorge erfasste die Bewohner des Hauses, und Waltraut folgte beunruhigt der Bitte Randolfs, sich bis zu seiner Rückkehr um seine Gemahlin zu kümmern.
Edgitha, die beim Eintreffen des Ritters mit ihrem Schwiegersohn beim Abendmahl saß, bat Randolf inständig, sofort nach ihrer Enkelin zu suchen.
»Herr Randolf hat schon genug Sorge um seinen Sohn, Frau Edgitha, da kann er sich nicht noch mit unserer Henrika belasten. Aber vielleicht könnt Ihr uns jemanden nennen, den wir mit der Aufgabe betrauen können«, bat der gefasste Clemens.
Randolf wies den Vorschlag entrüstet von sich. »Selbstverständlich werde ich Goslar nicht verlassen, bis mein Sohn wieder wohlbehalten bei mir ist, aber ich kann auch hier einiges tun, um das Verschwinden von Fräulein Henrika aufzuklären. Von meiner Frau weiß ich, dass sie zum Stall wollte, um Herwin zu suchen, dort werde ich beginnen.« Er sah die beiden mit festem Blick an und fügte hinzu: »Ich gab Euch einst mein Wort, auf sie zu achten, und gedenke es auch zu halten.«
Auf seinem Weg zum Stall wurde Randolf fast von der Verzweiflung überwältigt, und bevor er sich einender Pferdeknechte zur Brust nahm, barg er den Kopf am Hals seines Hengstes, um Trost zu finden.
Entgegen seiner Pläne hatte Guntram sich erst am frühen Nachmittag auf den Weg nach Hause gemacht, denn er wollte nicht einfach aufbrechen, ohne die letzte Arbeit beendet zu haben. Doch es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn seit seiner Genesung war der Wunsch, zurückzukehren und endlich die Sache zu Ende zu bringen, was er sich geschworen hatte, immer stärker geworden. Er war es seiner verstorbenen Imma einfach schuldig.
Als der Münzmeister seine Zufriedenheit über die letzten beiden Münzen zum Ausdruck brachte, freute sich der junge Mann mehr, als er es zeigte.
»Falls du es dir noch anders überlegen solltest, so steht dir meine Tür jederzeit offen. Ich muss gestehen, dass ich nur ungern einen so guten Arbeiter verliere. Aber ich kann deinen Wunsch gut verstehen, wer würde nicht gerne zu seiner Familie zurückkehren? Obwohl ich es sicherer finden würde, wenn du Herrn Randolfs Rat gefolgt wärst«, sagte Clemens nachdenklich, während er dem hünenhaften blonden Mann dabei zusah, wie er seine Decke zusammenrollte.
»Ich danke Euch, werter Herr Münzmeister, für alles, was Ihr für mich getan habt. Nicht nur dafür, dass Ihr mich gesund gepflegt und aufgenommen habt, sondern auch für das Wissen und die Freude an der Arbeit, die ich durch Euch erhalten habe«, bekannte Guntram.
Mit keiner Silbe erwähnte er, dass es niemanden mehr gab, der auf ihn wartete. Nicht, weil es den Münzmeister nichts anging, der junge Mann wollte kein Mitleid.
Dann schnürte er die Rolle mit einem Hanfseil fest zusammen und warf sie sich über die Schulter. Er brauchte sich nicht weiter umzusehen, denn ihm gehörte hiernichts. Selbst die Decke besaß er erst seit kurzem, sie war ein Geschenk des Ritters, der ihn aus dem Verlies der Hartesburg befreit hatte, ansonsten beschränkten sich seine armseligen Habseligkeiten auf das, was er am Leibe trug, obwohl auch der Kittel ursprünglich zum Eigentum des Münzmeisters gezählt hatte. Sein eigener brauner Kittel hing bei seiner Ankunft in Goslar nur noch in Fetzen von seinem Oberkörper, dank der Peitschenhiebe seiner Folterer. Zwar war ihm das neue Kleidungsstück zu kurz, vor allem an den Ärmeln, aber das störte ihn nicht besonders.
Kurz darauf verließ er das Haus, das ihm für mehrere Wochen ein Zuhause gewesen war, und machte sich auf den Weg. Die Entfernung war nicht sehr groß, Herr Randolf hatte ihm gesagt, dass er bei zügigem Schritt sicher kaum länger als zwei Stunden benötigte. Verbittert warf er einen kurzen Blick auf die Pfalz, vor der noch immer die sächsischen Adeligen auf Einlass warteten. Obwohl er auch von ihnen kein besseres Leben erwarten durfte, versetzte es ihm doch einen Stich, die Fürsten seines Volkes so gedemütigt zu sehen. Um den kleinen, tumultartigen Menschenauflauf direkt vor dem herrschaftlichen Sitz kümmerte er sich nicht weiter, letztlich ging es ihn nichts an.
Das Wetter war gut, und er kam zügig voran. Trotz der Wärme hatte er die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, denn er schwitzte fast nie und fühlte sich seltsamerweise dadurch geschützter. Seine Verletzungen
Weitere Kostenlose Bücher