Die Tochter des Münzmeisters
nahm, verschwand für kurze Zeit der überhebliche Ausdruck aus seinem Gesicht. Anschließend drohte er mit einem herausfordernden Blick auf Randolf damit, den Jungen sofort zu töten, falls jemand auf die Idee kommen sollte, ihnen zu folgen.
»Ihm wird nichts geschehen, wenn sich alle an die Anweisungen halten. Sobald wir in Sicherheit sind, werden wir Euch eine Nachricht zukommen lassen, wo Ihr ihn finden werdet. Mir liegt nichts am Tod dieses Jungen.«
Randolf zerbrach es schier das Herz, als er das lautlose Schluchzen seines geknebelten Sohnes mit ansehen musste, doch seltsamerweise glaubte er Dietbert. Trotzdem kostete es ihn eine ungeheure Kraft, sich nicht auf den Mann zu stürzen, vor allem, als an dem kleinen Hals eine schmale Blutspur sichtbar wurde, die durch den Druck der Dolchspitze entstanden war.
Mittlerweile waren die beiden Pferde herbeigeschafft worden, und Egeno schwang sich zuerst in den Sattel. Dann griff er nach dem Jungen, setzte ihn vor sich auf den Rücken des Tieres und umklammerte ihn mit einemArm. Nachdem auch Dietbert aufgesessen war, entfernten sie sich langsam, bis sie außer Sichtweite waren.
Zwei Stunden später kniete Randolf erneut auf dem Boden, diesmal vor dem großen Holzkreuz mit der prächtig geschnitzten, leidenden Jesusfigur. Zum zweiten Mal in seinem Leben tat er einen Schwur und schloss, während er leise die Worte sprach, die Augen.
»Herr im Himmel, beschütze meinen Sohn, ich bitte dich! Ich weiß, dass ich mich in Gedanken oft versündigt habe, aber lass ihn nicht dafür büßen! Wenn ich Herwin gesund wiederbekomme, schwöre ich bei seinem Leben, dass ich mein Ehegelübde niemals brechen werde«, murmelte er und verspürte im gleichen Augenblick einen schmerzhaften Stich im Herzen. Für den Bruchteil eines Augenblicks erschien Henrikas Gesicht vor seinem inneren Auge, dann verscheuchte er es schweren Herzens, was ihm fast nicht gelang, so sehr sehnte er sich nach ihr.
Nachdem er eine Weile in seiner unbequemen Stellung verharrt hatte, fiel ihm eine Begebenheit ein, die viele Jahre zurücklag. Damals hatte er an einem Frühlingsabend an die Tore des Hauses seines späteren Ausbilders geklopft und den Vogt um Hilfe gebeten. Ein paar Stunden zuvor war Graf Dedo, bei dem er in jenen Tagen als Knappe lebte, von einem Kleriker erschlagen worden. Randolf hatte durch seine Flucht nur knapp dem gleichen Schicksal entgehen können.
Am nächsten Morgen war Gottwald früh aufgebrochen, um den Mörder Graf Dedos zu stellen. Er hatte dafür einen besonderen Grund, denn der Ermordete war viele Jahre zuvor sein Ausbilder gewesen und später ein guter Freund geworden.
Randolf war damals ein schüchterner, knapp elfjährigerJunge von schmächtiger Statur gewesen, und seine Ehrehrbietung für den Vogt nahm in diesem Moment ihren Anfang. Damals hatte nicht nur er für die glückliche Rückkehr des später so bewunderten Mannes gebetet. Doch das, was ihn hier auf dem Boden der Liebfrauenkirche beschäftigte, fand damals in einem anderen Gotteshaus nicht weit von hier statt.
Gottwald band seine ruhige Stute an einem der Bäume fest, die in der Nähe der großen Stiftskirche standen. Das Gotteshaus befand sich zusammen mit der Liebfrauenkirche, die dicht bei der Pfalz ihren Platz hatte, auf dem Pfalzgelände, das Wall und Graben schützten. Flankiert von mehreren Kapellen und Kurien bot es einen imposanten Anblick. Es war erst fünf Jahre her, dass das beeindruckende Kirchenhaus in einer feierlichen Zeremonie geweiht worden war. Zehn Jahre hatten die Bauarbeiten bis zur Fertigstellung angedauert, mit dem Ergebnis, dass die Stiftskirche zu einem der mächtigsten Gotteshäuser im ganzen Reich geworden war.
Gottwald betrat die dreischiffige, flache Basilika durch den Eingang an der nördlichen Langhausseite, die zu den Goslarer Bewohnern hinzeigte. An der östlichen Seite befand sich der Eingang für die kaiserliche Familie. Der Vogt betrat die Stiftskirche auf den ausdrücklichen Wunsch des Kaisers bei dessen Anwesenheit von dieser Seite her. In der Nähe des Herrschers konnte er ihm am besten als Schutz dienen.
Kaum war er in dem Gebäude, umfing ihn eine wohltuende Stille. Der Vogt verspürte keinerlei Furcht vor Gott, vielmehr vertrat er die Ansicht, dass Gott die Menschen unterstützte, die versuchten, ihr Leben nach seinen Richtlinien und Geboten zu gestalten. Übermäßige Frömmigkeit, wie sein Sohn und auch teilweise seine Gemahlin sie praktizierten, war Gottwald schon immer
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