Die Tochter des Münzmeisters
in den Kampf, um nach dem unbewaffneten Goswin zu suchen.
Er entdeckte seinen Freund erst wieder, als das Schwert Dietberts von Hanenstein auf den jungen Priester niedersauste, der nur einen Wimpernschlag zuvor Burchard von Hanenstein erschlagen hatte.
Mit einem wutverzerrten Schrei stürzte sich Randolf auf den Sohn des verhassten Feindes, und es wäre ihm mit Sicherheit auch gelungen, diesen niederzustrecken, wäre nicht wieder einmal Azzo dazwischengegangen. Kurz bevor dessen Schwert auf ihn niedersauste, blickte Randolf in das boshaft grinsende Gesicht seines Feindes, über dessen linke Gesichtshälfte sich wie ein Versprechen die Narbe zog, die ihm Gottwald einst zugefügt hatte. Gleich danach musste sich Randolf zum zweiten Mal in seinem noch jungen Leben dem Schergen Burchards geschlagen geben und ging verletzt zu Boden.
Da erst bemerkte er das kleine Mädchen, das sich hinter einer Säule versteckte. Randolf war zum Glück nur leicht verletzt, und so rang er kurz mit dem Wunsch, Azzo und Dietbert zu verfolgen. Einen Moment später hatte er sich zu Henrika durchgekämpft, das völlig verängstigte Mädchen hochgehoben und, dicht an die Wand gepresst, nach draußen gebracht. Irgendwie schaffte er es, sie bis nach Hause zu geleiten, wo er dann zusammenbrach.
Dankbar dachte Randolf daran, dass nicht nur er, sondern auch Goswin Glück gehabt hatte, allerdings musste sein Freund noch viele Tage um sein Leben kämpfen. Nachdem er dem nahen Tod im letzten Moment von der Schippe gesprungen war, legte er sein Priesteramt nieder. Er heiratete Mathilda, die er sechs Jahre zuvor aus ihrem Martyrium bei Burchard befreit und als Amme von Henrika in das Haus des Münzmeisters gebracht hatte, und ging mit ihr zusammen fort, um sich ein gemeinsames Leben aufzubauen. Als ihr erster Sohn geboren wurde, tauften sie ihn in Erinnerung an einen guten Freund auf den Namen Esiko.
Goswin hatte seinen Schwur eingelöst, allein Randolf plagte sich damit herum, dass es ihm wieder einmal nicht gelungen war, den Mörder seines damaligen Lehrmeisters zur Rechenschaft zu ziehen, weshalb der Hass und die Verzweiflung bis heute stärker in ihm brannten denn je.
Weit nach Mitternacht fiel er endlich in einen unruhigen Schlaf.
Nach einem gemeinsam eingenommenen Frühstück, kaum nachdem die Sonne sich am Himmel gezeigt hatte, führte Goswin seine Nichte nach draußen. Randolf, der ihnen kurze Zeit später folgte, sah die beiden in ein Gespräch vertieft am Bach entlanggehen. Am Abend hatten beide Männer vereinbart, dass Goswin es übernehmen sollte, Henrika die verzwickte Lage zu erklären, und der Ritter beneidete seinen Freund nicht um die Aufgabe. Seiner Meinung nach hätte das Mädchen die Familiengeschichte längst erfahren müssen, niemand konnte dem auf Dauer entfliehen, das wusste er nur zu gut aus eigener Erfahrung. Plötzlich lief Henrika weg und ließ ihren Onkel mit traurigem Gesicht und hängenden Schulternstehen. Randolf widerstand dem ersten Impuls, ihr zu folgen, denn es war ihm bewusst, dass er ihr jetzt nicht helfen konnte. Das musste sie alleine durchstehen.
Erst an ihrer Lieblingsstelle blieb die junge Frau stehen. Sie lehnte sich an einen der knorrigen Zweige »ihrer« Hängeweide und schloss die Augen.
Ermordet! Wie betäubt schüttelte sie den Kopf. Früher hätte sie viel dafür gegeben, wenn sie mehr über die Geschichte ihrer Familie erfahren hätte. Doch irgendwann hatte sie den Eindruck gewonnen, dass es nicht viel Schönes in der Vergangenheit gegeben hatte, sonst würden nicht alle so beharrlich schweigen.
Andererseits hatte ihr Vater immer derart liebevoll von ihrer verstorbenen Mutter gesprochen, dass sie niemals Zweifel an der tiefen Aufrichtigkeit seiner Worte gehegt hatte. Verzweifelt schlug sie mit der Hand gegen den harten Ast. Der kurze Schmerz tat ihr seltsamerweise gut und brachte ihr mit einem Mal eine Erkenntnis, die im Grunde nahelag. Nach allem, was sie von ihrem Oheim erfahren hatte, war ihre Mutter niemand gewesen, der sich ohne Widerspruch gefügt hatte. Henrika erinnerte sich, dass Goswin bei früherer Gelegenheit einmal einen unbedachten Satz hatte fallen lassen, dessen Bedeutung sie erst jetzt erfasste. Nämlich, dass sie in ihrem Wesen mehr der Tochter entsprach, die ihre Großmutter sich immer gewünscht hatte.
Entschlossen straffte die junge Frau die Schultern und wischte sich mit einer resoluten Handbewegung die Tränen weg. Sollte es der Wunsch des Königs sein, dass sie diese
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