Die Tochter des Münzmeisters
die Spitze von Randolfs Schwert zu blicken, die kurz vor seinem pockennarbigen Gesicht endete. Von einem Moment zum nächsten verlor sich seine großspurige und überhebliche Art, er fiel auf die Knie und reckte Randolf beide Hände entgegen.
»Erbarmen, Herr, allein der fürchterliche Hunger hat aus mir einen Strauchdieb gemacht.«
Randolfs Gesicht glich einer Maske, als er die Schwertspitze leicht gegen die Brust des Mannes drückte. »Dein Gejammer ist erbärmlich! Erhebe dich und stell dich darauf ein, für deine Taten zur Rechenschaft gezogen zu werden.«
Der Mann machte keinerlei Anstalten, Randolfs Befehl nachzukommen, sondern setzte sein Wehklagen weiter fort. Angeekelt packte Randolf ihn mit der linken Hand am Kragen und zog ihn hoch. Diesen Moment der Unachtsamkeit nutzte der Dieb, indem er blitzschnell einen kleinen Dolch aus dem Gürtel zog und zustach. Einzig Henrikas Warnruf und seiner schnellen Reaktion hatte Randolf es zu verdanken, dass die Klinge ihn nur streifte. Wütend holte er mit der Rechten aus und stieß dem Mann das Schwert in den Bauch. Mit einem Röcheln brach dieser zusammen, wobei er sich mit den Fingern an Randolfs Kotte festkrallte, so dass der Stoff mit einem hässlichen Geräusch entzweiriss.
Angewidert zog der Ritter die Stofffetzen mit einem Ruck aus den Händen des Toten, der mit einem dumpfen Knall seitlich zu Boden fiel. Nicht weit entfernt von der Stelle, an welcher der Mann bei seiner Suche nach Geldachtlos Henrikas Kleiderbeutel in den Dreck geworfen hatte.
Jetzt erst wandte Randolfs sich seinem Schützling zu. Blass, eine Hand vor den Mund gepresst, stand sie noch immer am selben Fleck. Als sie anfing leicht zu schwanken, war der Ritter mit drei Schritten bei ihr, gerade noch rechtzeitig, um sie aufzufangen, denn im nächsten Moment sackten Henrika die Beine weg.
4. KAPITEL
A m nächsten Morgen saß Henrika auf einer Holzbank unter einer großen Weide und genoss die wunderbare Ruhe. Ihr Blick war auf das schöne, burgähnliche Steinhaus mit den zwei Ecktürmen gerichtet, das ihr von Anfang an ein Gefühl der Sicherheit vermittelt hatte. Eine dicke Decke machte den harten Platz zu einer gemütlichen Verweilstätte, so dass sie fast der Versuchung erlegen war, sich auf die grob gezimmerten Bretter zu legen. Als ob das alles nicht schon an Herrlichkeit genug wäre, stimmte auch noch ein hübsches Rotkehlchen seinen Morgengesang an. Es war recht früh, und Henrika hatte die schlimmen Ereignisse des vergangenen Tages noch immer nicht ganz verkraftet. Die letzte Nacht hatte sie auf dem Gut Liestmunde verbracht, dem Zuhause Randolfs.
Nachdem sie an dem kleinen Weiher aus ihrer Ohnmacht erwacht war, ritten sie gemeinsam auf dem Rücken seines Pferdes zurück zu der Stelle des Überfalls, um nach Folkmar Ausschau zu halten. Henrika erschrak fürchterlich, als sie die drei Toten in ihrem Blut liegen sah, denn zum Zeitpunkt ihrer Entführung waren die Männer noch in Kämpfe verwickelt gewesen. Auch Folkmar hatte sich seines letzten Gegners entledigen können, der durch die von Randolf zugefügte Verletzung bereits geschwächt gewesen war. Der junge Mann hatte sich wacker geschlagen, doch auch er war nicht unverletztgeblieben. Über einer notdürftig abgebundenen Wunde am linken Oberschenkel hatte sich ein großer Blutfleck auf dem Hosenbein ausgebreitet. Das gezwungene Lächeln konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Folkmar unter großen Schmerzen litt, da der letzte Gegner ihm überdies einen Schlag mit der Keule verpasst hatte.
Als sich langsam Schritte näherten, fuhr Henrika angespannt herum, aber im nächsten Moment atmete sie erleichtert auf, als sie Randolf erblickte.
»Darf ich mich zu Euch gesellen, edles Fräulein?«, fragte er mit einem unsicheren Lächeln.
Der linke Arm des Hausherrn, wo ihn der Holzknüppel getroffen hatte, lag in einer Schlinge aus dunklem Tuch. Henrika, die sich gleich nach ihrer Ankunft auf dem Gut in das ihr zugewiesene Zimmer zurückgezogen hatte, fiel mit einem Mal siedendheiß ein, dass sie sich noch gar nicht für ihre Rettung bedankt hatte.
»Selbstverständlich! Wer bin ich, dass ich Euch den Platz auf Eurer eigenen Bank verwehre? Außerdem muss ich Euch noch für mein furchtbares Betragen um Verzeihung bitten. Ihr habt zusammen mit Herrn Folkmar Euer Leben für mich riskiert, und dafür schulde ich Euch Dank. Wie geht es Eurem Arm und der anderen Verletzung?«, fragte Henrika, während sie sich erhob und die Decke weiter
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