Die Tochter des Münzmeisters
schmalen Lippen schwächte diese Wirkung ab.
»Es tut mir leid, Herr Dietbert, aber ich kann Euch darauf nicht antworten. Nicht zuletzt weil Ihr damals in der Kirche fast meinen Onkel Goswin erschlagen habt, erwarte ich von Euch, dass Ihr mich nicht weiter mit Eurem Drängen belästigt.«
Dietbert zuckte zusammen, als er ihre Worte hörte, doch so schnell gab er nicht auf. »Ich weiß, und Ihr könnt mir glauben, ich danke Gott dafür, dass er mich nicht zum Mörder gemacht hat. Bedenkt bitte auch, in welch einer Situation ich mich befand, schließlich ist mein Vater kurz davor durch die Hand Eures Onkels gestorben.«
»Euer Vater, von dem Ihr vorhin behauptet habt, dass Ihr selbst genug unter ihm gelitten habt. Aber genug davon, bitte respektiert meine Gefühle«, gab Henrika scharf zurück, warf die Bürste in die Ecke und drehte sich zum Ausgang hin.
Dietbert war schneller. Er griff nach ihrem Handgelenk und zog sie dicht an den Bretterverschlag heran.
»Lasst mich sofort los, oder ich schreie!«, fuhr Henrika ihn wütend an.
Anstatt den Griff zu lockern, beschwor er sie leise: »Es ist nicht allein die Sache mit Eurem Onkel, habe ich recht? Eure Großmutter hat beim König noch einen anderen Grund vorgebracht, für den ich gewiss keine Schuld trage. Ich verabscheue die Schändung genauso wie alle anderen, das müsst Ihr mir glauben!«
Henrika hörte abrupt auf, sich zu wehren, und starrte ihn fassungslos an, brachte aber kein Wort heraus, sondern schüttelte nur wie betäubt den Kopf.
Dietbert verstand ihre Reaktion völlig falsch und zog sie noch näher heran. »Ich hätte es in Euren Augen gesehen, wenn wir den gleichen Vater hätten! Doch da ist nichts als Freundlichkeit und Güte. Bitte, weist mich nicht ab, das überstehe ich nicht«, flehte er dicht bei ihrem Ohr.
Henrika hatte das Gefühl, als würde ihr gleich der Kopf platzen. Unbändige Wut stieg in ihr auf, während sie mit dem Fuß weit ausholte und Dietbert einen kräftigenTritt gegen das Schienbein versetzte. Mit einem unterdrückten Schrei ließ er ihr Handgelenk los, und die junge Frau rannte ohne zu zögern aus dem Stall.
»Ich bitte Euch, nein, ich flehe Euch an, sprecht mit Henrika! Ich bringe es nicht fertig. Allein der Gedanke, ihr all diese Dinge über meine geliebte Hemma mitzuteilen, bringt mich fast um den Verstand.«
Edgitha hatte ihrem Schwiegersohn den Rücken zugewandt und blickte aus dem Fenster auf den durchweichten Platz vor dem Pfalzgebäude. Es regnete bereits seit zwei Tagen, der September hatte bisher mit Sonnenstrahlen gegeizt. Vereinzelte Tropfen benetzten ihre schmalen Hände, mit denen sie sich auf den Mauervorsprung stützte, doch sie spürte es kaum. Clemens versuchte mittlerweile seit drei Tagen, sie dazu zu überreden, ihrer Enkeltochter endlich die ganze Geschichte ihrer Familie zu erzählen – bisher ohne Erfolg.
Ihre ganze Kraft hatte Edgitha für das Bittgespräch beim König benötigt. Es war unglaublich schwer gewesen, die Stunden des Überfalls wieder aufleben zu lassen, doch um diese Ehe zu verhindern, hätte sie weitaus mehr auf sich genommen. Der König hatte äußerst verständnisvoll reagiert und ihrer Bitte sofort entsprochen. Ob sie es allerdings ein zweites Mal schaffen würde, war mehr als fraglich, zumal bei dem Gespräch mit Henrika eine weitere unangenehme Wahrheit ans Licht käme. Eine Wahrheit, die den Hauptgrund für die Bitte ihres Schwiegersohnes darstellte.
Wieder hörte sie seine drängenden Worte, und ihr war klar, dass sie so nicht weitermachen konnte. Sie schuldete es ihrer geliebten Enkeltochter, die seit einer knappen Woche kein Wort mehr mit ihnen beiden gesprochen hatte und fast nur auf ihrem Zimmer blieb.Vor allem schuldete sie es ihrer verstorbenen Tochter, deren Charakterzüge mit einem Mal immer stärker bei Henrika hervortraten und die sie bis zu ihrem Tod nicht um Vergebung für diese furchtbaren Anschuldigungen gebeten hatte, die sie ihr nach dem Überfall an den Kopf geworfen hatte.
Ihrer Hemma, der sie bis zum Schluss nicht klargemacht hatte, wie sehr sie sie geliebt hatte. Nicht zuletzt schuldete sie es ihrem Schwiegersohn, der ihr die ablehnende Haltung seiner Ehefrau gegenüber schon lange verziehen hatte. Dabei wusste sie noch nicht einmal warum.
Schließlich seufzte Edgitha tief und wandte sich dem Münzmeister zu, dessen dunkle Augenringe ihr einen Stich versetzten, obwohl sie selbst kaum einen frischeren Anblick bot. »Also gut, ich werde mit Henrika
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