Die Tochter des Münzmeisters
Plötzlich schmunzelte er, und in fast heiterem Tonfall fuhr er fort: »Dann gelang mir ein Glücksgriff mit einem jungen, umherziehenden Mann, der Arbeit suchte, und ich gab ihm eine Chance. Dem Herrgott sei gedankt dafür, denn Esiko besaß ein unglaubliches Gespür für Silber, und kurz nachdem er bei uns angefangen hatte, stießen wir auf eine ergiebige Ader. Er war ein hübscher Kerl, der den jungen Mädchen hier in der Siedlung mit seinen blonden Locken und seiner besonderen Art die Köpfe verdrehte. Aber er hatte keinen Blick für sie.«
Humbert unterbrach sich und sah Henrika abwartend an. Sie befürchtete fast, dass er aufhören wollte, doch da erzählte er leise weiter.
»Trotz seiner oft großspurigen Art war Esiko ausgesprochenschüchtern, wenn Euer Großvater in Begleitung von Fräulein Hemma vorbeikam. Meistens verschwand er dann mit der Begründung, Holz holen zu müssen. Am Anfang ärgerte sich der Vogt noch über ihn, weil er ständig abwesend war, doch Esiko arbeitete hart und schaffte es schließlich sogar, dass der Herr Gottwald ihn zu sich auf den Hof holte, damit er sich um die Pferde kümmerte.«
»War er ebenfalls bei dem Überfall dabei?«, fragte Henrika zögernd.
Humbert nickte kurz. »Er wurde dabei getötet.«
Es kostete die junge Frau große Überwindung, ihre letzte Frage zu stellen, denn eigentlich wusste sie die Antwort bereits. »Waren seine Augen so grün wie meine?«
Dieses Mal erhielt sie keine Antwort, und als Humbert sich bei ihr entschuldigte, um an seine Arbeit zu gehen, nickte sie nur und trat langsam den Rückweg an.
Als der Bergmann kurz darauf an seinem glühenden Arbeitsplatz in der Schmiede nach dem Blasebalg griff, fragte er sich voller Unbehagen, ob er möglicherweise zu weit gegangen war.
5. KAPITEL
A ls Henrika wenig später wieder zusammen mit Clothar im Stall angekommen war, schickte sie den Jungen fort, denn sie wollte sich selbst um ihr Pferd kümmern. In der Vergangenheit hatte sie es oft geschafft, durch das gleichmäßige Striegeln des Fells Ruhe in ihre Gedanken zu bringen. Bei ihrer Leiba handelte es sich um ein ruhiges und gutmütiges Tier, das Goswin ihr zum fünften Geburtstag geschenkt hatte. Die zwölf Jahre alte Stute hatte ein wunderschönes rotbraunes Fell, und Henrika mochte es umso mehr, da Goswins verstorbener Hengst der Vater Leibas war und so die Erinnerung an den geliebten Rufulus wach blieb. Wie aus heiterem Himmel fiel ihr ein, dass Randolfs Hengst den gleichen Namen trug, und sie nahm sich vor, ihn darauf anzusprechen.
Mit leichtem Druck führte sie die Bürste in langen Bewegungen vom Kopf beginnend in Richtung Schweif, und Leiba gab durch ein leises Schnauben zu erkennen, dass ihr das Striegeln gefiel. Außer in dem hinteren Teil des großen Stalles, wo einer der Knechte Stroh zusammenfegte, war niemand anwesend, umso mehr erschrak Henrika, als sie aus der Dunkelheit des Bretterverschlags dicht neben ihr plötzlich jemand ansprach.
»Bitte, Fräulein Henrika, habt Ihr einen Augenblick für mich?«
Die Stimme kam ihr bekannt vor, doch da sie die Personnicht genau erkennen konnte, wusste sie nicht, wem sie gehörte, bis derjenige schließlich vor sie trat. Henrika sog scharf die Luft ein und machte unbewusst einen Schritt nach hinten, als sie Dietbert von Hanenstein gegenüberstand, der bittend die Hände hob.
»Lauft nicht weg, ich flehe Euch an! Gebt mir die Möglichkeit, mit Euch zu sprechen, mehr verlange ich nicht.«
Ein weiterer Pferdeknecht kam mit zwei gefüllten Holzeimern in den Stall, und Henrika atmete hörbar aus, dann antwortete sie mit einem knappen Nicken.
Dietbert machte einen weiteren Schritt auf sie zu. »Ich weiß, dass Ihr von den schrecklichen Dingen erfahren habt, die mein Vater getan hat. Ich kann nichts davon ungeschehen machen, doch bitte bedenkt, dass ich selbst mehr als genug unter ihm gelitten habe. Natürlich kann ich nicht erwarten, dass Ihr mir trotz allem die Möglichkeit gebt, Euch näher kennenzulernen, aber ich würde ungeachtet dessen gerne wissen, ob Ihr einer Verbindung mit mir auch dann abgeneigt wärt, wenn das alles nicht geschehen wäre.«
Henrika krallte sich mit einer Hand am Schweif ihrer Stute fest und hielt dem Blick Dietberts stand, der kaum größer war als sie, aber von drahtiger Gestalt. Er war von keinem unangenehmen Äußeren, die aschblonden Haare trug er kurz geschnitten, und die braunen Augen erregten durch den flehenden Ausdruck ihr Mitleid. Einzig der harte Zug um die
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