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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Henneberg
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sprechen. Aber davor muss ich wissen, was mit dem Sohn dieses Ungeheuers ist. Befindet er sich noch immer hier?«
    Clemens atmete tief durch, Erleichterung zeigte sich auf seinem müden Gesicht. Unbewusst strich Edgitha ihm sachte über die Wangen, wobei seine grauen Bartstoppeln sie an der Hand kitzelten. Normalerweise legte der Münzmeister wert auf eine regelmäßige Rasur, und Edgitha hatte ihn nur in der Zeit nach Hemmas Tod ungepflegt gesehen. Selbst die schulterlangen, gewellten Haare, bei denen seit einer Weile ein heller Grauton die Oberhand gewonnen hatte, sahen noch unordentlicher aus, als es ohnehin der Fall war.
    »Nein, Randolf hat mir gestern bei seinem Abschiedsbesuch mitgeteilt, dass Dietbert von Hanenstein bereits vor vier Tagen abgereist ist, also genau einen Tag nach Henrikas unerklärlichem, verstörtem Verhalten. Höchstwahrscheinlich haben wir es Dietbert zu verdanken, was Randolf mir ebenfalls bestätigt hat, denn er hat ihn andem Tag zufällig getroffen. Randolf sagte mir, dass der Mann einen verzweifelten Eindruck auf ihn gemacht hat.«
    Edgitha nickte zufrieden. »Er kann von mir aus gar nicht verzweifelt genug sein, hoffentlich geht er daran zugrunde!«
    Clemens antwortete nicht darauf, er hatte es schon vor vielen Jahren aufgegeben, den abgrundtiefen Hass seiner Schwiegermutter zu mildern. Seiner Ansicht nach war Dietbert mit seinem Vater schon genug gestraft.
    »Ich tue es für Hemma«, flüsterte Edgitha fast tonlos und schloss die Augen.
    Während Clemens ihre kalten Hände zwischen seine rauen Handwerkerhände legte, blickte er in das Gesicht der Mutter seiner geliebten Frau. Der Schmerz über den ertragenen Verlust hatte Spuren in ihrem einst so schönen Gesicht hinterlassen, und tiefe Linien der Verbitterung umschlossen ihren Mund. Aus der stolzen, immer leicht unnahbar wirkenden Gemahlin Gottwalds war über Nacht eine verhärmte, um Jahre gealterte Frau geworden, deren tiefblaue Augen noch von der Zeit erzählten, als Edgitha glücklich gewesen war. Auch früher schon zart von Gestalt, bot Edgitha nun fast einen asketischen Anblick, was die streng zurückgebundenen Haare, deren einstige kastanienbraune Fülle einem dunklen Grauton gewichen war, noch verstärkten.
    Unvermittelt öffnete sie die Augen und heftete ihren tiefblauen Blick auf ihn. »Du hast sie so unglaublich geliebt! Wie konntest du bloß von Anfang an so nett zu mir sein, obwohl du wusstest, wie sehr Hemma unter meinem verletzenden Verhalten gelitten hat?«
    »Ich habe Euch schon oft gesagt, dass Hemma Euch immer geliebt hat und Ihr deshalb endlich Eure Schuldgefühle begraben müsst. Ich habe es in ihren Augen gesehen,als Ihr ihren Wunsch erfüllt habt und Euch für meinen Verbleib an Hemmas Seite bei Henrikas Geburt eingesetzt habt – und das gegen den Willen der Hebamme. Als Ihr dann ebenfalls bis zum Schluss bei ihr gewacht und sie unterstützt habt, da wusste sie, dass Ihr sie trotz allem immer noch liebt. Deshalb hätte Eure Tochter auch nicht gewollt, dass Ihr Euch so quält! Und an Henrika habt Ihr sowieso alles tausendfach wiedergutgemacht.«
    Edgitha zog ihre Hände zurück, straffte sich und wischte mit einer energischen Handbewegung eine kleine Träne weg.
    »Außerdem kann ich Euch ein Stück weit verstehen, denn es gibt nichts Schlimmeres, als den Menschen zu verlieren, mit dem man sein Leben verbringen wollte. Hemma hatte mir einst erzählt, wie sehr Ihr Euren Mann geliebt habt«, fügte Clemens nach einem Moment der Stille hinzu.
    Es war seiner Schwiegermutter anzusehen, wie sehr er mit seinen Worten ihre Gefühle durcheinanderbrachte. Vielleicht war ihr nie klar gewesen, wie offensichtlich die Liebe zu ihrem Mann für Hemma gewesen war.
    »Deshalb werde ich es jetzt auch zu Ende bringen!«, sagte sie.
    Graf Otto von Northeim sah seinem Neffen zweiten Grades missbilligend entgegen, und lediglich dessen müde und niedergeschlagene Erscheinung hielt ihn davon ab, Dietbert sofort wieder seiner Burg zu verweisen. Eigentlich hatte er sich geschworen, den Sohn seines verstorbenen Vetters nie mehr zu empfangen, nachdem Dietbert zum wiederholten Male seine Erwartungen nicht erfüllt hatte. Andererseits gab es im Herzen des über fünfzigjährigen Grafen schon immereinen kleinen Platz, den sein Neffe für sich in Anspruch genommen hatte. Vielleicht lag es daran, dass Otto den Vater des zum Mann gereiften Jungen noch nie gemocht und für dessen Sohn stets starkes Mitleid empfunden hatte. Er straffte sich und

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