Die Tochter des Münzmeisters
Familie auch ihr Essen zu sich nahm, verlassen hatten.
»Es ist nicht die Länge des Wegs, die du scheust, sondern das Ziel! Hör auf, dich schuldig zu fühlen, es besteht wahrhaftig kein Grund dazu. Ich bin sicher, dein Onkel und seine Gemahlin sehen das genauso. Demnach wäre ich diejenige, die Schuldgefühle haben muss, anstelle meines Mannes.«
Die Erwähnung Randolfs ließ Henrika leicht zusammenzucken. Ihren eigentlichen Plan, die Gedanken an ihn dadurch zu verdrängen, dass sie einem erneuten Wiedersehen aus dem Weg ging, hatte der Wunsch desKönigs zunichtegemacht. Hier auf Gut Liestmunde bedurfte es noch nicht einmal der Anwesenheit des Ritters, denn so gut wie alles erinnerte an den Herrn des Hauses. Als Krönung ihrer inneren Qualen erwähnte Betlindis bei jeder Gelegenheit seinen Namen, und die Tatsache, dass diese durch und durch liebenswerte Person Henrika eine gute Freundin geworden war, machte die Sache nicht einfacher.
Sich der Schwierigkeit ihrer Lage bewusst, kämpfte Henrika nicht mehr gegen ihre Gefühle für Randolf an. Allerdings würde sie, allein wegen Betlindis, niemals wie ihre Mutter alles für die Erfüllung ihrer Liebe opfern. Das hatte sie sich in einer der vielen schlaflosen Nächte hier auf dem Gut geschworen.
»Wahrscheinlich hast du recht, aber ihr beide seid mit Sicherheit genauso wenig schuld daran wie ich selbst. Zu dumm, dass Folkmar damals deinen Mann begleitet hat.«
Randolfs Knappe war, nachdem er seine Verletzungen auf Gut Liestmunde auskuriert hatte, noch einige Male zu Besuch bei Henrikas Onkel gewesen. Wie sich im Nachhinein herausgestellt hatte, nicht, wie fadenscheinig vorgeschoben, um sich die Zeit von Randolfs Abwesenheit mit ein paar Übungskämpfen mit Goswin zu vertreiben, sondern um ein paar Blicke auf Mathildas Tochter zu erhaschen. Leider blieb es nicht bei flüchtigen Blicken, denn sobald sich Gunhild Folkmars Verliebtheit sicher war, hatte sie es äußerst raffiniert verstanden, ihm vollends den Kopf zu verdrehen.
Lautlos und ohne dass es jemand aus ihrer Familie bemerkte, war sie eines Nachts verschwunden und ließ sich mit Folkmar, der beim Hof auf sie gewartet hatte, von einem bestochenen Priester trauen. Als Goswin am nächsten Morgen die wenigen Zeilen des Knappen vorfand,war bereits alles zu spät. Er tobte und machte sich sofort auf die Suche nach den beiden, doch außer dem kleinlauten Priester fand er niemanden mehr vor. Das junge Ehepaar befand sich zu dem Zeitpunkt bereits auf dem beschwerlichen winterlichen Weg nach Paderborn, um Folkmars Vater zu beichten und seinen Segen zu erbitten, schließlich handelte es sich bei Gunhild um die Tochter eines Bauern.
Das alles lag inzwischen über vier Monate zurück, und Henrika wusste weder, ob Randolf die Botschaft seiner Frau über diesen Vorfall erreicht hatte, noch wie der Edle von Itter, Folkmars Vater, die Neuigkeit der Eheschließung aufgenommen hatte. Henrika, die noch nie ein besonders herzliches Verhältnis zu ihrer Base gehabt hatte, schämte sich entsetzlich für deren Verhalten und fühlte mit ihrem Onkel, den die Nachricht tief getroffen hatte. Die junge Frau wusste zwar, dass es sich bei Gunhild nicht um seine leibliche Tochter handelte, trotzdem litt sie mit ihm.
Betlindis griff nach Henrikas Hand, drückte sie fest und suchte ihren Blick. »Alles wird gut, glaub mir! Reite morgen ruhig mit Herwin zu deinem Onkel, ich wünschte nur, ich könnte euch begleiten«, seufzte sie bekümmert, woraufhin Henrika den Druck ihrer kalten, schmalen Hand schnell erwiderte.
Wie immer, wenn sie ihre Freundin direkt ansah, wunderte Henrika sich darüber, dass graue Augen einen derart warmen Ton haben konnten. Vielleicht, rätselte sie, liegt es an dem grünen Kranz, der sich um die Iris herum schmiegt und der ganz wunderbar zu der hellen Haut und den aschblonden Haaren passt. Ein paar vereinzelte Sommersprossen zierten die kleine Nase und verteilten sich über die Wangen, wodurch sich der verletzliche Ausdruck von Betlindis noch verstärkte.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist, wo du doch erst heute diesen Schwindelanfall hattest. Nachher fällst du mir noch vom Pferd! Gar nicht auszudenken!«, widersprach Henrika energisch.
Betlindis’ ohnehin schon bekümmerter Ausdruck verdüsterte sich noch mehr, und sie entgegnete kaum hörbar: »Ach, wenn Randolf nur schon zurück wäre! Ich vermisse ihn so sehr!«
Abrupt erhob sich Henrika, womit sie sich einen fragenden Blick ihrer Freundin
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