Die Tochter des Münzmeisters
einhandelte. Sie murmelte etwas von Kopfschmerzen, eilte nach draußen und ließ die verwirrte Betlindis zurück. Was hätte sie ihr auch als Erklärung anbieten können? Dass sie den Ritter ebenfalls vermisste? So sehr, dass es fast körperlich schmerzte? Nein!
Henrika war einfach losgelaufen und fand sich plötzlich im Stall bei den Pferden wieder. Der vertraute Geruch und die Nähe der Tiere taten ihr gut, und allmählich kam sie zur Ruhe. Sie würde lernen müssen, ihre Gefühle ganz tief in ihrem Innern zu vergraben. Dann würden sie sicher bald verblassen und nicht mehr so weh tun. Das hatte sie immer gut gekonnt, es wäre doch gelacht, wenn es ihr nicht auch jetzt gelänge!
Am nächsten Morgen, kurz nach dem gemeinsamen Frühstück, bekamen sie unerwartet Besuch, so dass aus dem geplanten Ausritt zunächst nichts wurde. Henrika, die ihre Schale Gerstenbrei bereits gegessen hatte, sprang auf, als sie die Reiter hörte. Das laute Stampfen der Hufe ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um eine größere Gruppe handelte, und sie lief beunruhigt zum Fenster, hob die dicke Strohmatte ein wenig an und lugte vorsichtig durch den Spalt. Betlindis war ihr zwischenzeitlich gefolgt, und Henrika trat einen Schritt zur Seite. Sie war bleich geworden, denn mindestens zehn Reiternäherten sich dem Gut, und aus der Entfernung konnte Henrika nicht erkennen, um wen es sich handelte. Immerhin weilten auf Randolfs Gut mehrere bewaffnete Männer, die unter seinem Sold standen und denen während seiner Abwesenheit der Schutz der Bewohner oblag. In den letzten Jahren war es immer wieder zu Übergriffen und Plünderungen im Umland des Bistums Bremen gekommen, was sich aus der langjährigen Fehde zwischen dem verstorbenen sächsischen Herzog Ordulf, seinem Sohn Magnus und dem Bruder des Herzogs, Graf Hermann, mit dem ebenfalls verstorbenen Erzbischof Adalbert begründete, den sie für den Tod von Ordulfs Onkel in Palitha verantwortlich machten. Allerdings war bei den kriegerischen Auseinandersetzungen Randolfs Gut bisher verschont geblieben. Nach dem Tod des verhassten Erzbischofs Adalbert hatten die Übergriffe sogar ganz aufgehört.
Sollten diese zehn Reiter keine friedlichen Absichten verfolgen, so konnten die Bewacher des Hofes zusammen mit den Knechten letztendlich nicht viel gegen kampferprobte Männer ausrichten.
»Ich rufe Lambert zu, dass sie auf keinen Fall das Tor öffnen sollen, bevor wir nicht wissen, in welcher Absicht die Männer kommen«, raunte Henrika ihrer Freundin zu, die noch immer hinausspähte, und staunte nicht schlecht, als diese sich mit strahlenden Augen umdrehte.
»Das tut nicht not, denn sie kommen in friedlicher Absicht, sei unbesorgt!«
Betlindis hatte den Satz kaum ausgesprochen, als sie auch schon mit ihrem Sohn im Schlepptau nach draußen lief und über den schmalen Weg aus Brettern, welche die Knechte für ihre Herrin zum Schutz vor dem schlammigen Untergrund ausgelegt hatten, auf das geschlossene Tor zueilte. Von oben hörte die verblüffte Henrika, wiedie Herrin des Hauses dem Mann am Tor den Befehl zurief, er möge sofort öffnen. Dann schnappte die junge Frau sich ihr warmes Schultertuch und auch das ihrer Freundin, die, ohne auf die morgendliche Kühle zu achten, einfach in ihrer hellen Kotte hinausgelaufen war.
Die Reiter kamen gerade durch das Tor, als Henrika ihr das Tuch um die Schultern legte und ärgerlich feststellte, dass Herwin ebenfalls kaum gegen die kühle Luft geschützt war. Ohne zu überlegen gab sie ihm ihr eigenes Tuch, denn sie spürte die Kälte kaum, und als sie sah, dass sämtliche Reiter in schlichter Reisekleidung unterwegs waren, atmete sie erleichtert aus. Die beiden Anführer der Gruppe waren nicht mehr jung, Henrika schätzte sie auf ungefähr fünfzig Jahre. Nun stiegen sie von ihren Pferden ab und näherten sich ihnen mit einem freundlichen Lächeln, das der Gutsherrin galt.
Völlig unerwartet fiel Betlindis einem der beiden um den Hals, während der kleine Herwin sich an das linke Bein des Mannes hängte, der nach seiner herzlichen Umarmung die junge Frau losließ und sich zu dem Jungen hinabbeugte. Einen Moment wirbelte er ihn hoch in die Luft, was der Kleine mit einem fröhlichen Juchzen quittierte. Henrika konnte ihre Verblüffung kaum verbergen und starrte den Fremden an, der sie allerdings nicht beachtete. Nur der zweite Mann fixierte sie mit einem sonderbaren Blick. Schließlich landete Herwin wieder wohlbehalten auf dem Boden.
Betlindis drehte sich
Weitere Kostenlose Bücher