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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Henneberg
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Hengst weiter den schmalen Pfad entlang, der an vielen Stellen durch den heftigen Wind bereits mit Schnee verweht war. Obwohl er unter dem warmen Umhang ein dick gefüttertes Wams trug, fror Randolf erbärmlich, und er sehnte das Ende des Winters herbei. Nachdem ein starker Windstoß ihm die Kapuze vom Kopf geweht hatte, zog er sie ärgerlich wieder tief ins Gesicht und trieb sein Pferd mit einem leichten Druck der Stiefelabsätze weiter an.
    Zum Zeitpunkt von Randolfs Aufbruch stand zufällig die Königin am Fenster ihrer Kemenate und streckte vorsichtig das Gesicht in den eisigen Wind. Der Ritter schien in der schneeweißen Landschaft mit seinem Pferd zu verschmelzen, und als sie die schwere Decke wieder vor die Öffnung fallen ließ und ihre Kammerzofe sich sofort darum kümmerte, dass alles gut verschlossen war, waren Ross und Reiter nur ein kleiner Punkt am Horizont.
    Bertha von Turin war eine hübsche Frau von Anfang zwanzig und bereits seit sechs Jahren die Ehefrau Heinrichs, mit dem sie schon als Vierjährige das Verlobungsbündnis eingegangen war. Hinter ihr lagen alles andere als leichte Ehejahre, doch sie hegte die große Hoffnung, dass es mit der Zeit besser werden würde. Zärtlich betrachtete sie ihre zweijährige Tochter Adelheid, die selbstvergessen in der Nähe des wärmenden Feuers auf einer Lage dicker Decken mit einer Holzpuppe spielte. Nur gelegentlich, wenn die trockenen Äste durch die Hitze der Flammen knackten, fuhr das Kind mitten im Spiel zusammen. Ihre Zweitgeborene schlummerte selig in ihrer Wiege, allerdings rechnete Bertha jeden Augenblick damit, dass das knapp neun Wochen alte Mädchen unruhig würde, denn die letzte Stillmahlzeit war schon eine Weile her.
    Die Königin liebte ihre beiden Kinder, war doch ihr erstgeborener Sohn im letzten Jahr verstorben, was sie viele Tränen gekostet hatte. Ende des letzten Jahres, bei der Geburt von Agnes, die sie nach der Mutter ihres Mannes benannt hatten, war sie anfangs ein klein wenig enttäuscht gewesen, denn sie hatte für einen Sohn gebetet. Aber die traurigen Gedanken waren schnell verflogen, zumal Heinrichs Freude über sein Kind offensichtlich echt war.
    Überhaupt war mit der Geburt jedes einzelnen Kindes ihre Ehe schöner geworden, auch wenn sie sich darüber im Klaren war, dass Heinrich weiterhin seine Kebsweiber nebenher hatte. Doch alles lief inzwischen diskreter ab, und Bertha stellte immer mehr fest, dass seine Zuneigung zu ihr wuchs. In der letzten Nacht hatte er sie zum ersten Mal seit der letzten Geburt wieder aufgesucht und sogar anschließend mit ihr über Dinge gesprochen, von denen sie bisher nur geahnt hatte, dass sie ihren Gemahl beschäftigten.
    Das alles änderte allerdings nichts daran, dass sein Scheidungswunsch, mit dem er vor drei Jahren an den Papst herangetreten war, noch immer wie ein Stachel in ihrem Fleisch festsaß und sie vor allem nachts mit Alpträumen quälte.
    Ein leichtes Wimmern ließ sie aus ihren Gedanken auffahren, sie verließ ihren Platz am verhängten Fenster und ging zu ihrem jüngsten Kind. Voller Liebe umfing ihr Blick ihre Tochter, die zwar die Augen noch geschlossen hielt, deren Körperbewegungen jedoch darauf schließen ließen, dass sich das anfängliche Nörgeln schnell steigern würde. Unter dem dicken Schaffell konnte Bertha die Regungen der kleinen Gliedmaßen deutlich sehen. Eine kleine Hand, die zu einer festen Faust geballt war, schob sich nach oben ans Mündchen, und gleich darauf erklang der erste deutliche Laut des Unmuts.
    Bertha winkte ab, als ihre Zofe herbeieilte, um das Kind herauszunehmen, beugte sich hinab und hob das schreiende Bündel hoch. Sie hatte eine Amme für ihre Kinder stets abgelehnt, und zu ihrer Erleichterung hatte auch ihr Gemahl nicht darauf bestanden. Bertha ließ sich langsam auf ihr Bett sinken, während die Zofe ihr ein dickes Daunenkissen in den Rücken schob, damit sie es bequemer hatte. Anschließend öffnete sie die Schnüre ihres Kleides und legte die kleine Agnes an, die sofort gierig zu saugen anfing. Bertha genoss das Gefühl, für das Leben ihrer Kinder wichtig, ja geradezu unabkömmlich zu sein, schloss die Augen und lehnte den Kopf an.
    Randolf rollte seine Decke zusammen und band sie mit einem Riemen an der alten, speckigen Ledertasche fest, die er sich danach über die Schulter hängte. Er war reisefertig und musste nun nur noch eine Sache hinter sich bringen: den Abschied von seinem Retter.
    Auf dem Weg von Worms zu seinem Gut war völlig

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