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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Henneberg
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unerwartet eine Rotte Wildschweine aus dem dichten winterlichen Wald gebrochen und hatte seinen Weg gekreuzt. Dank des tiefen Schnees waren Pferd und Reiter nur langsam unterwegs gewesen, sonst wäre sicherlich Schlimmeres geschehen. So aber scheute Randolfs Hengst und warf seinen Besitzer, der in der weißen Einöde vor sich hin gedöst hatte, in hohem Bogen ab. Bei dem schmerzhaften Aufprall, der zum Glück durch den weichen Neuschnee ein wenig abgemildert wurde, zog sich Randolf mehrere Prellungen und einen Rippenbruch zu. Außerdem war er für kurze Zeit bewusstlos, und als er wieder zu sich kam, blickte er direkt in ein von tiefen Falten durchzogenes Gesicht, das sich über ihn beugte.
    Der Köhler brachte den verletzten Ritter in seine einsame kleine Waldhütte und sorgte dafür, dass er die nötige Ruhe erhielt. Nach ein paar Tagen hatte Randolf sich wieder erholt und fühlte sich kräftig genug, um die Reise fortzusetzen. Bei seinem Retter handelte es sich um einen äußerst wortkargen Mann, dessen Alter schwer zu schätzen war, doch Randolf ging davon aus, dass das harte und entbehrungsreiche Leben ihn um Jahre älter scheinen ließ. Brandwunden auf Händen und Armen zeugten von der gefährlichen Arbeit mit dem Feuer, die ihm kaum genug für das Nötigste einbrachte.
    Wilhelm, wie Randolf am dritten Tag erfuhr, lebte bereits seit über fünf Jahren alleine im Wald. Das Grab seiner Frau befand sich nicht weit von der Hütte, denn der Priester der nächsten kleinen Siedlung hatte es abgelehnt, sie ihn geweihter Erde zu begraben, da sie ihrem trostlosen Leben nach dem Tod des dritten Kindes ein Ende bereitet hatte. Ihrem Mann fehlte zu diesem Schritt der Mut, und so lebte er weiter wie bisher und hofftejeden Abend darauf, am nächsten Morgen nicht mehr aufzuwachen.
    Trotz seines schweren Schicksals war er keinesfalls verbittert, so dass Randolf den kleinen, stets gebeugten Mann täglich mehr bewunderte, und als der Zeitpunkt seiner Abreise näher rückte, bot er ihm ein paar Münzen als Entschädigung und Dank an, die Wilhelm jedoch entrüstet ablehnte. Seiner Auffassung nach war es Gottes Wille, dass er den fremden Ritter vor einem möglichen Tod durch Erfrieren retten durfte.
    »Hab nochmals Dank für deine selbstlose Hilfe, Wilhelm!«, sagte Randolf, als er sich von seinem Pferd herabbeugte und dem Köhler die behandschuhte Hand reichte.
    »Gute Reise, Herr Randolf. Ihr wisst ja, immer dem Pfad folgen, dann kommt Ihr direkt auf den Weg, der Euch zur Hartesburg führt«, antwortete der Köhler in seinem nasalen Tonfall. Er erwiderte den festen Händedruck, wobei ein kaum erkennbares Schmunzeln seine von runzeliger Haut umgebenen Lippen umspielte. Dann drehte er sich um und bog in entgegengesetzter Richtung in den Wald hinein, während das Knirschen des Schnees unter seinen dick umwickelten Bundschuhen immer leiser wurde.
    Es hatte zu Randolfs großer Freude vor drei Tagen endlich zu schneien aufgehört, und fast wie auf Befehl hin hatte sich seitdem jeden Tag für mehrere Stunden die Sonne gezeigt. Der Schnee auf dem Pfad war davon allerdings noch unbeeindruckt, da die tief hängenden Zweige und Äste der Bäume des Waldes den meisten Sonnenstrahlen den Weg versperrten.
    Ein paar Minuten später führte der schmale Weg Randolf an einem der beiden Kohlenmeiler vorbei, von denen Wilhelm ihm in seiner knappen Art erzählt hatteund die fast gänzlich vom Schnee befreit waren. Aus dem kegelförmigen Gebilde quoll aus wenigen kleineren Löchern Rauch hervor, und durch die Erklärungen des Köhlers wusste Randolf, dass das Feuer in dem Kegel ständiger Obhut bedurfte, damit der Meiler weder erlöschen noch zu schnell abbrennen konnte. Sobald die vollständige Garung erfolgt war, löschte Wilhelm den Meiler ab und verkaufte die entstandene Holzkohle an die Erzgruben in der Nähe, die ständig Nachschub für ihre Schmieden benötigten.
    Am Mittag hatte Randolf endlich den Weg erreicht, von dem ihm Wilhelm gesagt hatte, dass er direkt zur Hartesburg führte. Dieser Zwischenhalt war nicht mit dem König abgesprochen, aber er lag dem Ritter sehr am Herzen, denn er wollte unbedingt in Erfahrung bringen, wie es dem Bauern Guntram ergangen war, dem er vor einigen Monaten geholfen hatte. Das Flehen Irmingards und ihr abschließend wütender Blick, in dem auch ein Funke Hoffnungslosigkeit lag, hatten ihn seither nicht losgelassen. Außerdem gab es noch einen anderen Grund, von dem Heinrich aber möglichst nichts erfahren

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