Die Tochter des Münzmeisters
erneut.
»Nein, lass mich alleine. Ich kann es dir nicht erklären, aber ich bleibe hier, bis dein Besuch wieder verschwunden ist«, entgegnete sie mit bestimmter, wenn auch zittriger Stimme.
Schritte waren zu hören, dann war es still vor ihrer Zimmertür, und Henrika atmete auf. Allerdings war ihre Erleichterung nur von kurzer Dauer, denn gleich darauf erklang in scharfen Worten eine erneute Aufforderung.
»Wenn Ihr auch nur etwas von dem Blut Eures Großvaters in Euch tragt, dann öffnet sofort die Tür und stellt Euch dem, was ich Euch zu sagen habe!«
Möglicherweise lag es an der Erwähnung ihres Großvaters, dass die junge Frau sich plötzlich straffte, miteiner energischen Bewegung die Tränen wegwischte und zur Tür ging. Bevor Henrika den Riegel zur Seite schob, atmete sie noch einmal tief durch, danach machte sie einen Schritt zur Seite und wartete angespannt darauf, dass Graf Otto eintrat.
»Danke, dass Ihr mich anhören wollt, edles Fräulein«, sagte der ältere, hochgewachsene Mann, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Wollen wir uns setzen?«
Henrika rührte sich nicht. Mit unbewegter Miene starrte sie den Grafen an, der nicht nur den Schänder ihrer Mutter gedeckt hatte, sondern auch ein Verwandter Dietberts von Hanenstein war. »Habt Ihr meinen Großvater gekannt?«
Unschlüssig sah er von der jungen Frau zu den beiden Stühlen hinüber, dann nickte er leicht und antwortete zögernd: »Leider nur oberflächlich. Ich habe ihn einmal bei der letzten großen Curie in Goslar unter dem Vater unseres Königs kennengelernt. Doch nach allem, was ich über ihn gehört habe, war er ein ehrlicher und mutiger Mann von ausgesprochenem Pflichtgefühl, der unserem verstorbenen Kaiser treu ergeben war.«
»Seltsam, wie Ihr Eure vorgebliche Anerkennung äußert! Dann möchte ich mir lieber nicht ausmalen, wie Ihr mit Euren wirklichen Feinden verfahrt!«, stieß Henrika bitter hervor.
»Überlegt Euch Eure Worte gut, Fräulein Henrika«, warnte Graf Otto sie, wobei ihm anzusehen war, dass er seine Wut nur mühsam unterdrückte.
Henrika wusste, dass sie sich deutlich im Ton vergriffen hatte, was ihr vor einigen Monaten noch nicht passiert wäre. Aber die alte Henrika gab es nicht mehr, und so erwiderte sie trotzig seinen Blick. Schließlich hatte sie ihn nicht um ein Gespräch gebeten.
Zu ihrer Überraschung hob Graf Otto abwehrend die Hände und entgegnete leise: »Ich verstehe Eure Wut, aber manchmal verhalten sich die Dinge anders, als sie scheinen. Können wir uns nicht doch setzen? Ich bin nicht mehr der Jüngste, und meine Knochen schmerzen von dem Ritt, der hinter uns liegt.«
Unwirsch nickte Henrika und folgte dem Grafen zu der gemütlichen Sitzecke neben ihrem Fenster. Mit einem erleichterten Stöhnen ließ sich Otto von Northeim nieder, streckte die langen Beine aus und begegnete dem abweisenden Blick des Mädchens mit gleichbleibender Freundlichkeit. »Ihr habt Burchard von Hanenstein damals …«, setzte Henrika an.
»Ich streite gar nicht ab, dass ich meinen verstorbenen Vetter seinerzeit gedeckt habe«, unterbrach sie der Graf, »aber ich gebe Euch mein Wort, dass ich seinen Lügen aufgesessen bin. Ich bin davon ausgegangen, dass sein engster Vertrauter Azzo, dieser üble Zeitgenosse, bei dem Überfall der Anführer war und nicht mein Vetter. Dabei habe ich mich auf die Aussage eines jungen Verwandten verlassen, was allzu gutgläubig war, wie ich im Nachhinein feststellen musste. Doch da war es bereits zu spät. Allerdings habe ich meinen Vetter sofort von meinen Besitztümern verwiesen und ihm mit dem Tode gedroht, sollte er sich noch einmal innerhalb der Grenzen meines Landes zeigen. Mittlerweile hat er durch die Hand Eures Onkels ein gerechtes Ende genommen.«
Henrikas versteinerte Miene ließ nicht erkennen, ob seine Worte Wirkung zeigten, und so fuhr er fort: »Ich habe das äußerst bedauernswerte Ende Eures Großvaters gewiss nicht gewollt, aber es stand nach meinem Wort viel für mich auf dem Spiel. Die Zeiten nach dem Tod des Kaisers waren anfangs mehr als unruhig, und es galt für jeden, seine Stellung und Position zu festigen.«
Henrika verbiss sich die Bemerkung, dass ihm dieses Vorhaben nicht gelungen war, denn trotz ihres Ärgers wollte sie ihn nicht erneut beleidigen.
Der Gesichtsausdruck des Grafen verdüsterte sich, da ihm anscheinend der gleiche Gedanke durch den Kopf ging. »Das Leben ist ein ewiger Kampf. Ich habe viel gewonnen und genauso viel auch
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