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Die Tochter des Münzmeisters

Die Tochter des Münzmeisters

Titel: Die Tochter des Münzmeisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Henneberg
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fielen die ersten dicken Tropfen, dann brach das Unwetter über ihnen los. Der Wind fegte den Regen in starken Böen über den Boden, und die Menschen suchten Zuflucht in der nahen Stiftskirche. Allen voran Papst Viktor mit mehreren Bischöfen und Fürsten, die ganz vorne im Zug ritten und es daher nicht weit hatten.
    Esiko musste sich um die verängstigten Pferde kümmern und konnte gerade noch sehen, wie Goswin an jeder Hand eines seiner jüngeren Geschwister packte und sie aus dem Wagen zog. Randolf war ein paar Schritte vor ihnen. Sie waren noch ein ganzes Stück vom Gotteshaus entfernt und mussten sich zudem durch die Massen an Zuschauern kämpfen, die panisch versuchten, dem starken Regen zu entkommen.
    Blitze erhellten die ansonsten in dunkles Grau getauchte Umgebung, und gewaltige Donnerschläge versetzten viele in Angst und Schrecken. Um Esiko herum herrschte ein fürchterliches Durcheinander. Frauen kreischten und rissen ihre weinenden Kinder mit sich. Manche Männer stießen alle, die ihnen im Weg standen, rücksichtslos zur Seite. Unter großen Mühen schaffte es der ehemalige Bergmann, die Zügel um einen der Bäume zu binden, so dass die Tiere ganz dicht am Stamm standen. Dabei hoffte er inständig, dass keiner der gewaltigen Blitze in den Baum einschlagen würde. Dann sah er sich suchend um, doch er hatte die drei Geschwister aus den Augen verloren, wobei der starke Regen seine Sicht noch erschwerte.
    Gerade als er sich unter dem Wagen verkriechen wollte, erhellte ein besonders großer Blitz das ganze Durcheinander, und Esiko sah den gelben Schleier Hemmas kurz in der Menge aufleuchten. Im nächsten Moment war er jedoch verschwunden. Kurz entschlossen stürzte sich der junge Mann ins Gewühl und kämpfte sich bis zu der Stelle durch, an der er Hemma zuletzt gesehen hatte. Verzweifelt spähte er durch die Umherlaufenden, deren Geschrei unter dem Getöse des Unwetters unterging. Da sah er nur wenige Meter vor sich etwas auf dem Boden liegen, doch gleich darauf war sein Blick wieder versperrt und er versuchte noch schneller vorwärtszukommen. Endlich hatte er sein Ziel erreicht, und seine Befürchtung bestätigte sich, als er Hemma in gekrümmter Haltung auf dem durchweichten Boden erkannte.
    Esiko beugte sich über die am Boden liegende junge Frau und schob beide Arme unter ihren Körper, um die Ohnmächtige hochzuheben. Dabei musste er höllisch aufpassen, um nicht selbst umgerissen zu werden. Mit gehetztem Blick sah er sich um, und fast im selben Moment fiel ihm die kleine Hütte ein, in der die Gartengeräte des Gotteshauses untergebracht waren. Esiko hatte dort am vergangenen Abend ein kleines Stelldichein mit einer dunkelhaarigen Tänzerin gehabt und wusste daher, dass die Tür nicht verriegelt war. Nun arbeitete er sich mit aller Kraft voran, stets darauf bedacht, Hemmas Körper zu schützen. Die Hütte war ganz in der Nähe des Wagens, daher standen sie wenige Minuten später im Trockenen, und Esiko schlug erleichtert die Tür hinter sich zu. Einen Augenblick lang lehnte er sich schwer atmend dagegen, dann legte er Hemma vorsichtig auf den Boden.
    Durch die Ritzen zwischen den Holzbrettern drang schwaches Licht in den kleinen Raum, und Esiko hoffte inbrünstig, dass die Tochter des Vogts nicht allzu schwer verletzt war, denn sie war noch immer von ihrer Ohnmacht umfangen. Im fahlen Dämmerlicht konnte er sehen, dass ihr ehemals schönes gelbes Kleid schmutzig und zerrissen war. Auch ihre Arme und Füße waren schlammverschmiert, und sicher war ihr Körper von blauen Flecken übersät.
    »Hemma, komm zu dir! Du musst aufwachen!«
    Esikos drängende Worte gingen fast unter in dem Lärm des Sturms, der noch immer draußen tobte. Die Hütte ächzte unter dem Angriff des Windes. Zum Glück war das Dach dicht, nur in der hinteren Ecke tropfte es stetig.
    Der junge Mann zögerte, dann versetzte er ihr einen leichten Klaps auf die Wange. »Hemma, Liebes, mach die Augen auf!«
    Die Tochter des Vogts gab ein langes Stöhnen von sich und schlug zögerlich die Augen auf. Erleichtert stieß Esiko einen tiefen Seufzer aus und strich ihr zart über die Wange, so als wollte er den Klaps wiedergutmachen.
    Hemma schluchzte auf, schlang die Arme um seinen Hals und zog ihn zu sich herunter. Zögernd schob er die Arme unter ihren Rücken und redete leise und beruhigend auf sie ein. Wie von selbst streifte er mit dem Mund über ihre nassen Haare und dann weiter zu ihrer Wange, auf der sich der Regen mit ihren Tränen

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