Die Tochter des Münzmeisters
hinauf. Wolken waren aufgezogen, und Esiko fragte sich, ob der Regen den Festzug abwarten würde. Bei dem Gedanken, wie all die schönen Gäste triefend vor Nässe aussehen würden, lachte er verbittert auf, wusste aber gleichzeitig, dass kein Regen der Welt Hemmas Aussehen schmälern könnte. Er sah sich nicht wieder um, bis er Bruns schnellen Laufschritt hörte, und atmete tief durch.
Dummerweise mochte er alle Kinder des Vogts. Leichter würde ihm die ganze Situation fallen, wenn wenigstens einer von ihnen mit einem gemeinen Charakter gesegnet wäre, dann hätte er auch einen guten Grund, alles hinzuwerfen. Niemand konnte ihn aufhalten, er war schließlich kein Unfreier, was unschwer an seinen schulterlangen Haaren zu erkennen war. Den grauen Bergmannskittel hatte er schon seit längerem gegen eine braune, knielange Kotte ausgetauscht, wie sie fast alle hier trugen. Seine blonden, leicht gewellten Haare hatte die Sonne des ausklingenden Sommers ausgeblichen, und sie hoben sich deutlich von seiner gebräunten Haut ab.
»Worauf wartest du noch? Wir können los!«
Esiko fuhr aus seinen Gedanken auf und sah zu Goswin hinüber. »Euer Herr Vater hat mir aufgetragen, auf seinen Knappen zu warten. Er soll ebenfalls mit uns kommen«, antwortete er ruhig.
Wie auf Bestellung erschien gleich darauf Randolf im geöffneten Hoftor. Esiko hatte sich anfangs mit dem Jungen den Raum über dem Pferdestall geteilt und sich immer besser mit ihm verstanden. Obwohl der Altersunterschied neun Jahre betrug, erschien Randolf um einiges älter, was wohl an seinem stillen und ruhigen Wesen lag. Als Udolf gestorben war, hatte Esiko dessen Kammer am Ende des Stalls bekommen.
»Entschuldigung vielmals, aber es sind so viele Menschen unterwegs, dass kaum ein Durchkommen ist«, japste der Knappe und sprang auf den Platz neben Esiko.
»Wie viele sind es, Randolf? Hat der Festzug schon begonnen?«, fragte Brun aufgeregt.
»Setz dich endlich hin und sei still!«, fuhr Hemma ihren kleinen Bruder scharf an.
Maulend gehorchte Brun. »Nur weil du Mutter vertreten sollst, heißt das nicht, dass du mich herumkommandieren kannst.«
Esiko hatte einen kurzen Blick über die Schulter geworfen, da eine solche Zurechtweisung aus Hemmas Mund ungewöhnlich war, und so blieb ihm der vorwurfsvolle Blick Goswins nicht verborgen.
Sie kamen nach einem kurzen Stück nur sehr langsam vorwärts, denn die Menschen drängten sich am Rand des Weges, den der Festzug zur Pfalz nehmen sollte. In der Nähe der Stiftskirche kamen sie dann ganz zum Stehen. Über ihnen war ein leichtes Grummeln am Himmel zu hören, und diesmal warf nicht nur Esiko einen besorgten Blick nach oben. Die dichten Wolken waren schweren, dunklen Wolkentürmen gewichen, und ein leichter Wind kam auf. Goswin sah zweifelnd in die Richtung, aus welcher der Festzug kommen sollte. Gleich darauf hörten sie die Musik der Flöten, die mit den Tönen der Fideln harmonierte.
»Ich glaube, es wäre besser, wenn Esiko dich wieder nach Hause bringt. Der Himmel gefällt mir gar nicht, und wenn es zu regnen anfängt, bist du hier völlig schutzlos«, gab Goswin seiner Schwester zu bedenken.
»Ach was, so ein paar Tropfen! Außerdem kämen wir sowieso nicht durch, sieh dir nur mal die vielen Menschen an«, entgegnete Hemma, »davon abgesehen muss dir der Himmel doch immer gefallen«, neckte sie ihren Bruder, worauf sie sich einen verärgerten Blick einhandelte.
Esiko hatte dem Wortspiel schweigend zugehört. Er konnte sich denken, warum sie hier bleiben wollte, schließlich konnte sie sich so wieder gut ihrem künftigen Ehemann präsentieren. Dazu passte auch, dass sie ihm seit ihrem gemeinsamen Erlebnis am Klusfelsen aus dem Weg ging. Es musste ihr im Nachhinein sehr peinlich sein, dass sie sich ihm hingegeben hatte.
Ihm, einem einfachen Mann!
Dass vielmehr er selbst ihr seit dem Vorfall auswich, schob er zur Seite. Stattdessen fasste er den Entschluss, diesen Ort nach Ende der Feierlichkeiten zu verlassen und das Weite zu suchen. Auch andere Väter hatten hübsche Töchter, die zudem für ihn erreichbar waren. Trotzdem hoffte er, Hemma möge mit ihrem zukünftigen Gatten mehr Glück haben als mit Burchard von Hanenstein.
Die herannahende Musik wurde immer lauter, doch auch der Wind nahm zu, und Esiko sah fasziniert auf die wehenden Haare Hemmas. Just in dem Augenblick, als die Spitzengruppe des Zuges auf ihren prachtvollen Pferden und mit den festlich geschmückten Wagen an ihnen vorbeigezogen war,
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