Die Tochter des Schmieds
dachte ich, es wäre soweit. Es hat sich so ein Schmerz auf mich gelegt, als müßte ich daran zerbrechen, auf mein
Herz und auf meine Seele.
Mit letzter Kraft habe ich mich ins Bett geschleppt, ich |309| weiß nicht, was es war, aber es ging mir so schlecht, daß ich dachte, ich sterbe. Und da fiel mir die Linsensuppe auf dem
Herd ein, und ich habe gebetet: Herr, gib mir noch die Kraft, aufzustehen und den Herd auszuschalten, Herr, gewähr mir diese
Bitte, und dann komm und nimm dein Geschenk wieder an dich. Ich war bereit zu sterben, aber ich wollte nicht, daß das ganze
Haus abbrennt. Ich möchte die Welt sauber verlassen, sauber und ordentlich. Aber ich hatte nicht die Kraft, ich konnte mich
nicht erheben. Dann muß ich bewußtlos geworden sein.
Als ich wieder zu mir kam, wußte ich nicht, wieviel Zeit vergangen ist. Ich konnte aufstehen, aber auf dem Weg in die Küche
mußte ich mich an den Wänden abstützen. Die Suppe köchelte noch auf dem Herd.
Ich habe keine Angst mehr. Aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich gerne im Herbst sterben. Ich mag den Frühling,
und ich mag den Sommer, ich mag das Licht, das dich streichelt, wie die Wellen den Strand streicheln, aber den Winter habe
ich noch nie gemocht. Den kann ich auch unter der Erde verbringen. Im Herbst, wenn ich einen Wunsch frei hätte, würde ich
gerne im Herbst sterben. Oder am Ende des Sommers.
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|310| Danke:
A. H.
Seher Özdoğan, Tufan Özdoğan, Gülten Ertekin, Vedat Ertekin, Nermin Turan, Nesrin Demirhan, Svenja Wasser, Markus Martinovic,
Zoran Drvenkar, Tolga Özdoğan, Lutz Freise, Tim Wasser, Filiz Doğan, Solvig Frey, Christian Goeschel, José F. A. Oliver, Angela
Drescher, Marcel Vega.
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Informationen zum Buch
„Glanz meiner Augen“ nennt der Schmied seine Lieblingstochter Gül. Weil ihre Mutter, die schön war wie ein Stück vom Mond,
früh stirbt, glaubt das Mädchen, besonders auf seine jüngeren Schwestern achtgeben zu müssen. Gül ist klein, aber stark, vor
allem jedoch kann sie lieben und weiß, daß man sich von nichts schrecken lassen darf.
Schlicht und poetisch erzählt Selim Özdogan vom Leben in einem anatolischen Städtchen, vom Geschmack der Sorglosigkeit im
Sommer, von Sprüchen der Ahnen und ungeduldigen Wünschen der Jungen. Die Geschichte von Gül ist voll Zärtlichkeit, Leid und
Sehnsucht wie der anatolische Blues.
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Informationen zum Autor
SELIM ÖZDOGAN wurde 1971 geboren und lebt in Köln.
Er veröffentlichte die Romane
Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist
(AtV 2058-9),
Nirgendwo&Hormone
(AtV 1969-6),
Mehr
(AtV 1721-9),
Ein Spiel, das die Götter sich leisten
(AtV 2179-8) und
Die Tochter des Schmieds
sowie
Ein gutes Leben ist die beste Rache
(Stories, AtV 1479-1) und
Trinkgeld vom Schicksal
(Geschichten, AtV 1917-3).
Noch mehr über Selim Özdogan unter
www.selimoezdogan.de .
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