Die Tochter des Schmieds
hinlegen. Hier sind wir doch nirgends sicher, ich könnte kein Auge zutun.
– Ich weiß einen Platz, sagte der Schmied. Es ist nicht mehr weit.
Mit der Dämmerung erreichten sie einen Friedhof.
– Hier traut sich nachts niemand hin, sagte Timur und fügte hinzu: Du brauchst keine Angst zu haben, vertrau mir, das ist
der sicherste Platz, um im Freien zu übernachten.
In dieser Nacht war Fatmas Schlaf ruhig, wenn auch sehr |24| leicht, und von da an sollte sie der Schmied häufiger mitnehmen, wenn er Geschäfte in entfernten Dörfern hatte, und seine
Frau würde sich an diese Nächte gewöhnen. Es gefiel ihr, in der Stille und Dunkelheit so neben ihrem Mann zu liegen, über
ihnen die Sterne, und der Boden unter ihnen kam ihr vor wie Daunen, wenn sie nur den Kopf auf seine Schulter legte und er
ihr über die Haare strich und sagte: Mein Mädchen, mein Stück vom Mond.
Sie fand, daß sie Glück gehabt hatte mit diesem Mann. Es machte ihr nichts aus, daß er die Hälfte des Geldes, das er für die
Teppiche erhalten hatte, verjubelte, auch wenn sie einen ganzen Sommer dafür am Webstuhl gesessen hatte. Natürlich gab es
manches, das sie störte. Einmal hatte er seinem Gehilfen sein Pferd geliehen. Gott allein wußte, warum er das gemacht hatte,
sein Gehilfe war ein guter Arbeiter, aber ein kopfloser junger Mann mit aufbrausendem Temperament. In seinem Übermut hatte
der Gehilfe das Pferd im Galopp über die Hauptstraße gejagt, die Leute waren erschrocken beiseite gesprungen und hatten ihn
verflucht, und schließlich hatte die Polizei ihn angehalten und ihm das Pferd abgenommen. Die Polizisten wußten, was Timur
dieses Pferd wert war, um es wiederzubekommen, hatte er eine ordentliche Summe hinlegen müssen, er hatte es praktisch noch
mal gekauft.
Ein anderes Mal hatte Timur gebürgt, als einer seiner Freunde ein Feld kaufen wollte und nicht genug Geld hatte. Warum kaufte
dieser Mann ein Feld, wenn er kein Geld besaß? Timur hatte es am Ende bezahlt, das Feld, aber es gehörte seinem Freund.
Fatma machte sich keine Sorgen, er verdiente gut, es war immer Geld da, aber sie hatte begriffen, daß er mit diesem Geld nicht
umgehen konnte, und sie ahnte, daß auch andere Tage kommen würden. Doch solange er an ihrer Seite war, konnte sie auch diesen
Tagen lächelnd entgegensehen.
In ihrer ersten Nacht auf dem Friedhof lagen sie mit offenen Augen nebeneinander und schwiegen. Timur dachte immer wieder,
nur noch zwei Minuten, nur noch zwei Minuten |25| die Sterne ansehen und meine Frau im Arm spüren, dann drehe ich mich um und schlafe ein.
– Gül, sagte Fatma leise in die Stille hinein.
– Hm? machte Timur.
– Es wird ein Mädchen, ich kann es fühlen. Ich möchte sie Gül nennen, Rose, ich möchte ein kleines Mädchen haben, das Rose
heißt.
Der Schmied legte seine Hand auf ihren Bauch.
– Gül, sagte er. Und wenn es ein Junge wird, nennen wir ihn Emin.
– Es wird kein Junge.
Gül wurde an einem warmen Septembertag geboren. Als der Schmied in der Dämmerung heimkam, lag dieses kleine Wesen neben seiner
Frau im Bett.
– Sind die Hände und Füße normal? fragte er als erstes, und Fatma nickte.
Vorsichtig berührte er Gül, sie wirkte, als könnte allein das Gewicht seiner großen Hand sie verletzen. Mit feuchten Augen
küßte Timur seine Frau und hauchte auch seiner Tochter einen Kuß auf den Kopf. Schließlich ging er hinaus und setzte sich
auf die Stufen vor dem Haus. Unter seiner Haut prickelte etwas, nicht wie Luftblasen, sondern eher wie eine warme Abendbrise.
Leicht fühlte er sich, als würde sein Körper sanft angehoben werden von dieser Brise, als hätte er etwas von seinem Gewicht
an die Erde abgegeben. Er saß auf den Stufen und vergaß zu rauchen.
In jenem Herbst schien es ihm, als würde alles von selbst laufen. Er kaufte die reiche Ernte der Bauern und verkaufte sie
auf dem Markt in der Stadt, sein Weinberg trug reichlich Trauben, für die Arbeit in der Schmiede stellte er einen zweiten
Gehilfen ein, und als es wieder Frühling wurde, kaufte er ein Sommerhaus mit einem großen Apfelgarten und einem Stall am Rande
der Stadt, um wenigstens im Sommer einen kürzeren Weg zur Arbeit zu haben.
Viele Städter hatten Sommerhäuser am Rande der Stadt, wo |26| sie der Hitze entflohen, in den großen Gärten ein paar Beete mit Tomaten bepflanzten, mit Gurken, Paprika, Zucchini und Mais,
so daß sie zu essen hatten. Außerdem erhofften sie sich einen
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